Calling Crystal
Preise.
Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, als ich an unser erstes Flirt-Gespräch zurückdachte. Ich werde auf Heller und Pfennig bezahlen, versprochen. Kannst du mich von der Insel der Contessa abholen kommen?
Mal sehen, was ich tun kann.
Ich warte an der Wassertreppe. Aber bevor ich hier den Abgang mache, muss ich noch etwas erledigen.
Hoffentlich nichts Gefährliches.
Nein, ich glaube nicht. Wir sehen uns in ’ner Viertelstunde.
Ich werde da sein.
Ich stand auf. Die Contessa schlief, ihr Atem ging flach. Sie sah so klein und zerbrechlich aus, dass ich keinen Hass mehr für sie empfinden konnte. Was wäre, wenn mir das Gleiche widerfahren würde wie ihr? Ich konnte bloß hoffen, dass ich nicht dermaßen verbittert würde; aber ich betrachtete sie jetzt als ein menschliches Wesen und nicht mehr als Monster. Wenn ich den Schaden, den sie bei den Mädchen angerichtet hatte, wiedergutmachen könnte, würde ich ihr vermutlich sogar verzeihen, denn immerhin waren es ihre übelwollenden Absichten gewesen, die mich dazu gezwungen hatten, Xav zu finden.
Ich läutete mit der Glocke. Alberto erschien auf der Stelle.
»Signorina?« Er warf einen konsternierten Blick auf seine Herrin. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Nein, nein, die Contessa schläft nur.« Ich musterte ihn. Er hatte den gleichen Beinah-aber-doch-nicht-ganz-da-Ausdruck, den ich auf Diamonds Gesicht gesehen hatte. Ich hatte das für das geschulte Auftreten eines Butlers gehalten, aber jetzt wusste ich, dass es ihm aufgezwungen worden war. Der arme Mann war schon dermaßen lange ein Opfer, dass ich mich fragte, ob der Versuch, ihn wiederherzustellen, nicht Schlimmereszur Folge hatte, als wenn ich alles beim Alten beließe. Die Contessa hatte mich gewarnt, dass ich genau diese Art von Entscheidungen treffen müsste, wenn ich meine Fähigkeit benutzte, aber ich weigerte mich, den Schwanz einzuziehen, bloß weil ich Angst davor hatte, Fehler zu machen. Ich fragte mich stattdessen, was ich wollen würde, wenn ich an seiner Stelle wäre.
Ich würde wollen, dass mich jemand befreite.
»Entschuldigen Sie einen Moment, Alberto.« Ich schloss meine Augen und streckte mich nach seinem Geist aus. Ich bekam dieses Karussell der tipptopp aufgeräumten Gefühle zu sehen, das sich drehte und drehte und niemals irgendwo ankam. Jetzt konnte ich erkennen, wie sie es angestellt hatte: Sie hatte ein Modell entworfen, das aussah wie das Leben, aber nicht das Leben war. Aber dabei war ihr ein Fehler unterlaufen: Schmerz und Leid, Sehnsucht und Kummer waren unvermeidbar, denn sie waren die untrennbare Kehrseite der positiven Gefühle. Ich war momentan noch nicht in der Lage, ihm zu helfen – vermutlich würde ich nur noch mehr Schaden anrichten, wenn ich versuchte, ihn wiederherzustellen, bevor ich meine eigenen Fähigkeiten besser verstand.
»Signorina?« Alberto wurde nervös, wie ich ihn so schweigend betrachtete.
»Alberto, sind Sie ein Savant?«
»Signorina?«
»Und es gibt noch andere Savants unter den Hausangestellten – vielleicht Ihre Verwandten?«
Er hob eine Augenbraue. Ich fasste das als ein Ja auf.
»Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie übermorgen ein Treffen mit mir und dem Hauspersonal arrangieren könnten.«
»Wozu?«
»Ich habe etwas gegen diese … diese Leere, die Sie in sich tragen.«
»Leere?« Der Butler war verständlicherweise verwundert darüber, dass unser Gespräch derart persönlich wurde.
»Sie sind … ähm … manipuliert worden. Von der Contessa. Wenn Sie angestrengt genug darüber nachdenken, wird Ihnen aufgehen, dass Sie das tief in Ihrem Inneren schon längst wissen.« Er runzelte die Stirn wie ein Kind, das eine Matheaufgabe lösen sollte, die weit über seinem Wissensniveau lag. »Ich verlange nicht, dass Sie mir glauben, geben Sie mir einfach nur eine Chance, Ihnen zu helfen. Sehen Sie, ich bin ein Seelensucher. Oh, und sagen Sie der Contessa nicht, dass ich zurückkomme.«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
Armer Kerl. »Können Sie mich wenigstens hereinlassen, wenn ich wiederkomme? Ich werde nichts gegen Ihren Willen unternehmen und ich werde auch nur kommen, wenn ich der Meinung bin, dieses … Problem lösen zu können.«
Er nickte zaghaft.
»Okay. Dürfte ich jetzt meinen Mantel haben?«
Diesmal hellte sich seine Miene auf. Zurückgeworfenauf die vertrauten Butlerpflichten fühlte er sich bedeutend wohler. Er übergab mir meine Jacke. »Gute Nacht, Signorina.«
»Gute Nacht, Alberto. Wir sehen uns
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