Calling Crystal
loswerden würden, da wir sie davon abhalten, sich ungestört die Taschen mit Geld zu füllen.«
»Und was hat das mit mir zu tun?«
»Wir haben doch neulich versucht, es dir zu erklären. Zu unserem eigenen Schutz müssen wir möglichst im Hintergrund agieren. Wir zeigen uns nicht unter Nennung von Namen und Aufenthaltsort in den Zeitungen aller Welt, damit auch jeder, der etwas gegen uns hat, uns gleich finden kann.
Ich zuckte mit den Achseln. »Ja und, ich bin einfach nicht dermaßen bedeutend. Wen kümmert’s, was ich mache?«
»Du kapierst es einfach nicht, was?«
»Diesen Oberlehrerton kannst du dir sparen. Nein, ich verstehe nicht, welche furchtbare Sünde ich begangen haben soll, indem ich abends auf einer Ausstellung war.« Ich schob mein Sandwich zur Seite. Ausgeschlossen, dass ich heute noch etwas runterbekommen würde. Eine reizvolle Alternative dazu erschien mir die Vorstellung, ihm das Sandwich in den Schlund zu stopfen. Warum bloß war die Beziehung zwischen Xav und mir so … explosiv?
»Im Sommer ist es uns dank Phoenix und Yves gelungen, eine internationale Bande krimineller Savants dingfest zu machen. Das war ein Riesencoup, den wir in London landen konnten, wo sie zusammengekommen waren, um ihre Kartellstrukturen neu zu organisieren.Sie sitzen jetzt in ihren Heimatländern im Gefängnis und warten dort auf ihren Prozess.«
»Das habt ihr aber fein gemacht.« Ich wünschte, es hätte nicht ganz so sarkastisch geklungen; ich bewunderte sie ja wirklich für ihr Tun, aber das einzugestehen fiel mir eben schwer, wenn ich das Gefühl hatte, von oben herab behandelt zu werden.
»Kannst du dir vorstellen, wie sich ihre Leute darüber freuen würden, wenn sie uns das heimzahlen könnten?«
»Deinem unheilschwangeren Orakelton nach zu urteilen lautet die richtige Antwort auf deine Frage wohl ›sehr‹.«
»Trace und Diamond müssen ihre Ehe offiziell registrieren lassen, damit sie rechtsgültig ist. Du kannst dich drauf verlassen, dass jeder Savant, der noch eine Rechnung mit ihr offen hat, versuchen wird, so viel wie möglich über sie und ihre wunden Punkte in Erfahrung zu bringen. Und dann – halleluja – ziehen sie das große Los, weil sich Diamonds beknackte kleine Schwester überall in den Zeitungen präsentiert, zusammen mit der Information, wo genau sie zu finden ist. Da hättest du deiner Schwester ebenso gut ein Fadenkreuz auf die Stirn malen können. Je mehr öffentliches Interesse du mit dieser Modelsache erregst, desto schlimmer wird es.«
Ich stand auf. Diese Unterhaltung war zwecklos. Er war wild entschlossen, mich für die Handlungen anderer verantwortlich zu machen. Er hatte mich noch nicht mal gefragt, ob ich überhaupt daran dachte, mit dem Modeln weiterzumachen; er ging einfach davonaus. Dabei hätten mir ein guter Rat und ein bisschen Anteilnahme sehr geholfen, wo ich doch dermaßen durch den Wind war.
»Danke fürs Zuhören, Xav. Weißt du, es ist wirklich toll, wie du versuchst, dich in mich hineinzuversetzen. Ich meine, du musst nicht glauben, dass mir gestern tierisch die Muffe gegangen ist, als sich diese Reportermeute auf mich gestürzt hat. Und wie schön, dass du nicht von mir verlangst, mein Leben so zu gestalten, dass es deiner Familie möglichst wenig Unannehmlichkeiten bereitet.« Ich warf ein paar Euromünzen auf den Tisch. »Ich muss jetzt wieder zurück.«
Xav stand auf. »Crystal, wir sind noch nicht fertig.«
Ich warf ihm einen letzten langen Blick zu und verfluchte insgeheim, dass ich mich dermaßen zu ihm hingezogen fühlte, wenn er in meiner Nähe war. Meine Gefühle für ihn manövrierten mich in eine ausweglose Situation.
»Ich glaube aber schon.«
In den darauffolgenden Tagen fühlte ich mich zu Hause wie ein Außenseiter, wie ein Kind, das in die Ecke gestellt worden war, weil es den ungeschriebenen Kodex der Savants gebrochen hatte. Auch meine Familie war von meinem Pressedebüt alles andere als begeistert. Meine Schwestern, einschließlich der Braut in spe, nannten mich unverantwortlich und warfen mir vor, ich würde die Hochzeit und ihrer aller Sicherheit aufs Spiel setzen. Meine Mutter hatte mich zum ersten Mal seit einer Ewigkeit angerufen, um mir den Marschzu blasen. Hauptsächlich beklagte sie den Schaden, den der gute Familienruf durch mich genommen hatte; anscheinend hatte die Brook-Familie in Savant-Kreisen bislang stets als äußert diskret gegolten. Wenigstens meine Brüder Steel und Peter machten sich Sorgen, dass mich dieser
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