Calling Crystal
Hölle steckst du, Zuckerpuppe? Du hättest doch eigentlich im Helikopter sitzen sollen.
Vor lauter Empörung war seine Stimme dermaßen laut, dass ich erschrocken stolperte.
»Alles okay, Crystal?«, fragte Zed und fasste mich am Arm.
»Xav ist nicht gerade zufrieden mit mir.«
»Sag ihm, er soll sich da raushalten. Wir retten uns selbst.« Zed ruckte an dem Seil, das sie über die Mauer geworfen hatten, um zu prüfen, ob es noch immer fest war.
Zähl mal die Sitzplätze, Xav. Es gab nur die Möglichkeit Will und du oder ich. Wie geht’s ihm?
Ich behandle ihn gerade. Wir benutzen Steves Wohn-wagen-Garderobe als unsere Notaufnahme. Die Kugel hat ihn an der rechten Schulter erwischt, ziemlich weit oben.
Konzentriere du dich ganz auf Wills Behandlung. Ich werde schon bald hier raus sein .
Uriel, Victor und Trace traten zwischen den Bäumenhervor, sie hatten eine andere Richtung genommen, als wir es getan hatten. Jetzt, da wir alle wieder vereint waren, hangelte sich Zed am Seil hoch und verschwand dann außer Sicht. Gleich würde es die Blamage meines Lebens geben; ich war für sie alle ein Klotz am Bein.
»Du bist als Nächstes dran«, sagte Trace, der sich zweifelsohne fragte, warum ich das Seil anstarrte, als wäre es eine sich windende Schlange.
Ich sprang, hievte mich ein paar Meter hoch, spürte, wie meine Arme nachgaben, und plumpste wieder zurück auf den Boden. Ich probierte es noch einmal und diesmal krachte ich bloß an die Mauer wie ein dilettantischer Glöckner, der von seinem Seil in die Höhe gezogen worden war.
»Tut mir echt leid, aber ich kann das nicht. Ich hab nie eine Karriere als Actionheldin angestrebt, die Kraft in meinem Oberkörper reicht gerade mal zum Anheben einer Kaffeetasse.«
Trace kletterte am Seil hoch, so behände wie ein Affe. »Vic, binde ihr das Seil um.«
Netterweise verkniffen sie sich jegliche Spötteleien, als ich wie ein Sack Kartoffeln nach oben gehievt wurde. Tränen der Wut über meine eigene Unfähigkeit brannten in meinen Augen, aber ich war dermaßen sauer auf mich selbst, dass ich mir nicht zugestand zu weinen. Stattdessen wischte ich sie fort.
»Tut mir leid«, murmelte ich oben angekommen.
»Schon okay, Crystal.« Trace machte das Seil ab und warf es nach unten zu seinen Brüdern. »Kommst du von hier allein klar?«
Mit Unbehagen blickte ich in die Tiefe. Zum Glück hatte sich reichlich Schnee an der Mauer aufgetürmt, sodass es eine weiche Landung würde.
»Klar doch, eigentlich bin ich ein Ninja. Wollte euch nur nicht in Verlegenheit bringen.« Unbeholfen setzte ich mich auf die Kante, packte das Seil, das zur anderen Seite nach unten führte, und ließ mich halb fallend, halb kletternd hinab. Ich landete mit einem Poklatscher im Schnee. Zed half mir auf und schloss mich in die Arme.
»Ninja, was?«
»Das hast du gehört?«
»Das haben wir alle gehört. Das muss ich Xav erzählen.«
»Ich bringe dich um, wenn du ihm erzählst, wie sehr ich euch alle enttäuscht habe.«
»Du hast uns nicht enttäuscht, Crystal. Du schlägst dich sehr gut.«
Seine Brüder kamen elegant neben uns am Boden auf – jede Landung kam einem Tadel gleich für all die Sportstunden, vor denen ich mich gedrückt hatte. Wir standen jetzt zu sechst draußen vor dem Anwesen und allmählich wich meine Angst.
»Dad sagt, Will kommt wieder auf die Beine«, berichtete Trace. »Lily fährt ihn mit dem Auto ins Krankenhaus, Xav begleitet sie und Dad bringt gemeinsam mit Steve die Mädchen in die Villa. Wir sollen sie dort treffen.«
Das Auto stand gleich am Ende des Wegs geparkt, versteckt hinter wild wucherndem Brombeergestrüpp.Wir stiegen alle ein, wobei ich mich quasi auf Traces Schoß quetschen musste. Uriel legte den Rückwärtsgang ein und fuhr zurück auf die Straße.
»Phee schien es doch ganz gut zu gehen, oder?«, fragte Yves seine Brüder.
»Ja, alle waren in guter Verfassung – zumindest oberflächlich«, bestätigte Uriel.
»Sky ist eine echte Kämpfernatur«, fügte Victor bewundernd hinzu. »Sie wollte sich mir partout nicht fügen und einschlafen.«
»Vermutlich hat sie deine Farben gesehen – sie hat gewusst, dass es eine Lüge war, als du ihr gesagt hast, du wolltest nur mal prüfen, ob sie Fieber habe.« Zed klopfte nervös mit den Knöcheln gegen die Scheibe, voller Ungeduld, Sky endlich zurückzubekommen.
Victor zuckte mit den Schultern. »Dieser Schlafbefehl funktioniert einfach am besten, wenn ich demjenigen dabei an die Stirn fasse.«
»Hat mich
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