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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen
Autoren: Jacqueline Kelly
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sah, dass seine Unterseite von einem überraschenden, schimmernden Grünblau mit purpurfarbenen Einsprengseln war. Der Käfer zappelte erschrocken herum, und dabei veränderte sich seine Farbe. Er erinnerte mich an die Abalone-Brosche meiner Mutter, die so faszinierend und so selten war.
    »Er sieht wunderschön aus«, sagte ich.
    »Er ist mit dem Skarabäus verwandt, den die alten Ägypter als Symbol für die Morgensonne und für ein Weiterleben nach dem Tode verehrten. Manchmal trugen sie ihn als Schmuck.«
    »Wirklich?« Ich fragte mich, wie man einen Käfer dazu kriegt, still auf dem Kleid eines Menschen sitzen zu bleiben. Mit einer Haarnadel? Oder mit Tapetenkleister? Ich versuchte mir beides vorzustellen, aber weder das eine noch das andere schien mir eine besonders gute Idee.
    »Hier«, sagte Großpapa und hielt mir den Käfer hin.
    Er kippte ihn mir in die Hand, und ich bin wirklich stolz, dass ich nicht zurückgezuckt bin. Es kitzelte, als er über meine Handfläche krabbelte.
    »Sollen wir ihn behalten, Sir?«, fragte ich.
    »Ich habe einen in meiner Sammlung in der Bibliothek. Diesen hier können wir laufen lassen.«
    Ich legte meine Hand auf den Boden, und der Käfer, besser gesagt Cotinis texana , stolperte hinunter und lief unbekümmert davon.
    »Was kannst du mir über die Wissenschaftliche Methode sagen, Calpurnia?« So wie er die Worte aussprach, wusste ich, dass es sich um einen Fachbegriff handeln musste.
    »Ähm – nicht viel.«
    »Was lernt ihr denn in der Schule? Du gehst doch zur Schule, oder?«
    »Natürlich. Wir haben Lesen, Rechtschreibung, Rechnen und Schönschrift. Ach ja, und Benimmunterricht. Ich hatte ein Befriedigend für Haltung, aber ein Mangelhaft für die Handhabung des Taschentuchs und des Fingerhuts. Mutter war ziemlich unglücklich deswegen.«
    »Gütiger Gott«, sagte Großpapa, »das ist ja schlimmer, als ich dachte.«
    Das war eine interessante Bemerkung, auch wenn ich nicht verstand, was er damit sagen wollte.
    »Und Naturkunde habt ihr nicht? Keine Physik?«, fragte er.
    »Einmal die Woche haben wir Botanik. Aber Physik – was ist das?«
    »Hast du nie von Sir Isaac Newton gehört? Oder von Sir Francis Bacon?«
    »Nein.« Um ein Haar hätte ich über diesen albernen Namen gelacht, schließlich bedeutet Bacon so viel wie Speck, aber irgendetwas in Großpapas Miene sagte mir, dass wir uns gerade über höchst ernsthafte Dinge unterhielten und er enttäuscht von mir wäre, wenn ich nicht ebenso ernst bei der Sache wäre wie er.
    »Vermutlich bringen sie euch auch bei, dass die Erde eine Scheibe ist und dass die Schiffe, die über den Rand stürzen, von Drachen verschlungen werden.« Er sah mich fragend an. »Es gibt noch so vieles, worüber wir uns unterhalten müssen. Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät. Komm, wir suchen uns einen Platz, wo wir uns setzen können.«
    Wir nahmen unseren Spaziergang zum Flussufer wieder auf und fanden ein Plätzchen im Auwald, im Schatten eines gastfreundlichen Pekannussbaums. Dort erzählte Großpapa mir lauter verblüffende Dinge. Dass es mehr Möglichkeiten gab, den Dingen auf den Grund zu kommen, nicht nur, indem man wie Aristoteles (ein kluger, doch leicht verwirrter vornehmer Grieche) einfach dasitzt und nachdenkt, sondern indem man hinausgeht und sich mit eigenen Augen umsieht. Dass man eine eigene Hypothese aufstellt, sein eigenes Experiment ausdenkt, durch Beobachtung überprüft und schließlich zu einer Schlussfolgerung kommt. Die Zuverlässigkeit dieser Schlussfolgerung prüft man schließlich, und zwar nicht nur einmal, sondern immer wieder. Er erzählte mir von Ockhams Rasiermesser, von Ptolemäus und der Sphärenmusik und davon, wie alle sich so viele Jahrhunderte lang geirrt hatten, was die Sonne und die Planeten anging. Auch von Linné hat er mir erzählt, der ein System entwickelt hat, nach dem alles, was in der Natur lebte, benannt wurde. Wann immer wir heutigen Menschen eine neue Art benennen wollten, richteten wir uns nach diesem System. Er erzählte mir von Kopernikus und Kepler, davon, wieso Newtons Apfel hinunterfiel und nicht hinauf, und warum der Mond immer um unsere Erde kreist. Er erklärte mir den Unterschied zwischen deduktivem und induktivem Denken und wie Sir Francis Bacon, der mit dem lustigen Namen, dahinterkam. Und Großpapa berichtete mir auch von der Reise nach Washington, die er 1888 unternahm, um mit anderen Herren zusammen eine neue Gesellschaft zu gründen, die sich National Geographic Society
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