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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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alter und neuer Experimente, dass wir einige Minuten brauchten, bis wir alles herumgeschoben und das Fässchen endlich ganz unten unter einem der Arbeitstische entdeckt hatten.
    »Ah«, sagte Großpapa, »jetzt ganz vorsichtig, damit sich mögliche Ablagerungen am Boden nicht lösen. Erst sehen wir es uns mal genau an.«
    Ich zündete sämtliche Hängelampen an, während Großpapa etwas Platz auf dem Arbeitstisch schaffte und das Fässchen behutsam darauf stellte. Dann zapfte er es an und goss einige Fingerbreit der goldbraunen Flüssigkeit in ein sauberes Glas. Er hob es hoch und hielt es ins Licht der hellsten Lampe. Man hätte meinen können, es handelte sich um Nitroglyzerin, so vorsichtig hantierte er damit. Er betrachtete den Inhalt gründlich, einmal mit Brille, einmal ohne. Die Flüssigkeit schimmerte, aber eins war mir klar: Ganz gleich, wie gut das Zeug geworden sein mochte, wie erfolgreich der Versuch gewesen sein mochte – für So-gut-wie-Zwölfjährige wäre es tödlich.
    »Keine nennenswerten Ablagerungen«, sagte Großpapa.
    »Ist das gut?«
    »Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich je einen guten Bourbon getrunken hätte, in dem irgendwelche Schwebstoffe gewesen wären – du vielleicht? Und was hältst du von der Farbe?«
    »Die ist schön. Die gleiche Farbe wie Mutters Bernsteinperlen. Soll sie so sein?«
    »Schwer zu sagen. Wir wagen uns gerade auf das Terrain der Brennerei vor, ohne jemanden dabei zu haben, der uns anleitet.« Er schaute mich an, und hinter seiner gelassenen Miene sah ich die Aufregung des Forschers hervorblitzen.
    »Jetzt wollen wir mal daran riechen«, sagte er und hob das Glas an die Nase. Zuerst schnupperte er ganz vorsichtig daran, so als handelte es sich womöglich um giftiges Riechsalz. Dann atmete er tief durch die Nase ein, und mit höchst zufriedener Miene hielt er mir das Glas hin. Ich zuckte zurück wie ein nervöses Pony. Er hatte mich schon einmal fast umgebracht und hatte es einfach vergessen. Ich war gekränkt.
    »Sag mal, du willst doch nicht etwa, dass ich davon trinke?«, fragte ich ihn. »Du weißt schon noch, was beim letzten Mal passiert ist, oder?«
    Er bemerkte meine entrüstete Miene und sagte: »Ach so, ja – du hast natürlich völlig recht, das war schrecklich. Das darf nicht noch einmal passieren. Du musst nicht davon kosten, sag mir einfach, wie du den Geruch findest.«
    Ich nahm das Glas und beugte mich tief hinüber. Ein kräftiger Geruch nach Pekannuss stieg mir in die Nase, der gar nicht unangenehm war – erstaunlich, wenn man bedachte, wie leid ich Pekannüsse im Allgemeinen war. »Riecht ganz wie Violas Nusskuchen«, sagte ich.
    »Ah«, sagte er, »aber jetzt kommt erst die wirkliche Probe aufs Exempel.« Er prostete mir zu. »Auf deine Gesundheit, Calpurnia, meine treue Gefährtin in unerforschten Gewässern.« Nach diesen Worten nahm er einen großen Schluck.
    An seine Miene erinnere ich mich noch, als wäre es gestern gewesen. Erst ein überraschtes Zucken, dann ein langer nachdenklicher, in die Ferne gerichteter Blick. Schließlich ein Lächeln, das sich langsam auf seinem Gesicht ausbreitete.
    »Nun«, sagte er dann. »Ich habe etwas Erstaunliches vollbracht.«
    »Was denn, Großpapa, was denn?«, flüsterte ich.
    »Ich bezweifle, dass irgendein zweiter Mensch auf Erden dasselbe von sich behaupten kann.«
    »Was denn, sag doch!«, jammerte ich.
    Gelassen antwortete Großpapa: »Ich habe es geschafft, ausgezeichnete Pekannüsse und Ferment in etwas zu verwandeln, das Ähnlichkeit mit Katzenpisse hat.«
    Mir klappte erst einmal die Kinnlade herunter.
    »Was lernen wir daraus?«, fragte Großpapa.
    Ich saß nur da und starrte ihn mit offenem Mund an.
    »Unsere heutige Lektion ist die: Lieber mit Hoffnung im Herzen unterwegs sein, als mit Gewissheit ankommen. Verstehst du, was ich meine?«
    »Nein, Großpapa.«
    »Das heißt, wir sollten uns über unsere Fehlschläge freuen, denn sie sind ein klares Zeichen dafür, dass unsere Entdeckungsreise noch nicht zu Ende ist. Der Tag, an dem ein Experiment gelingt, ist auch der Tag, an dem es endet. Und mir ist es unweigerlich stets so gegangen, dass die Traurigkeit über das Ende größer war als die Freude über den Erfolg.«
    »Soll ich das ins Journal schreiben?«, fragte ich. »Das mit der Katzenpisse, meine ich.«
    Er gluckste vor Vergnügen. »Gute Idee. Wir müssen bei unseren Beobachtungen immer ehrlich sein. Dort liegt die Feder, übernimm du diese

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