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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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    Meine gemeinsame Zeit mit Großpapa zerrann mir zwischen den Fingern, während das häusliche Mühlrad immer mehr Schwung bekam und sein wesentliches Rohmaterial – nämlich mich – zu immer kleineren Teilen zermahlte.
    »Calpurnia«, rief Mutter nach oben, mit dieser ganz besonderen Stimme, die ich zu fürchten gelernt hatte, »wir warten in der Küche auf dich.«
    Ich saß in meinem Zimmer und las Großpapas Ausgabe von Charles Dickens’ Eine Erzählung von zwei Städten . Ich legte das Buch beiseite, antwortete aber nicht.
    »Ich weiß, dass du da oben bist«, rief Mutter, »und ich weiß, dass du mich hörst, also komm jetzt runter.« Seufzend legte ich ein altes Haarband als Lesezeichen zwischen die Seiten und trottete nach unten. Ich war die verurteilte junge Aristokratin, die mit hoch erhobenem Haupt auf dem Karren zum Schafott steht. Es wäre viel, viel besser –
    »Es gibt überhaupt keinen Grund für so eine Leidensmiene«, sagte Mutter, als ich die Küche betrat, wo Viola und sie am geschrubbten Kiefernholztisch saßen und auf mich warteten. »Es ist doch nur eine Kochstunde.«
    Auf dem Tisch sah ich die Marmorplatte, die Zuckerdose, ein Nudelholz, eine große Schale mit grünen Äpfeln und eine leuchtend gelbe Zitrone. Und ein Buch. Meine Laune stieg, bis ich einen genaueren Blick darauf werfen konnte.
    »Sieh mal«, sagte Mutter, »das hier ist mein Fannie-Farmer-Kochbuch. Du darfst es gern ausleihen, bis du dein eigenes Exemplar bekommst. Darin steht alles, was du wissen musst.«
    Das bezweifelte ich. Sie gab es mir mit der gleichen Geste, mit der mein Großvater mir vor einigen Monaten sein Buch – das andere – überreicht hatte. Mutter lächelte, Violas Miene war nichts zu entnehmen.
    »Wir beginnen mit Apfelkuchen«, sagte Mutter. »Das Geheimnis eines guten Apfelkuchens ist ein Spritzer Zitronensaft, und dazu etwas geriebene Zitronenschale, das gibt dem Ganzen einen angenehm säuerlichen Geschmack.« Sie lächelte, nickte und redete in diesem einschmeichelnden Tonfall, den Mütter so gern bei ihren widerspenstigen Kindern anwenden.
    Ich gab mir alle Mühe, zurückzulächeln. Weiß der Himmel, wie ich dabei aussah, denn Mutter sah plötzlich sehr beunruhigt aus, und Viola schaute schnell zur Seite.
    »Das wird doch sicher lustig, nicht wahr?«, fragte meine Mutter, doch nun wirkte sie unsicher.
    »Vermutlich«, sagte ich.
    »Viola wird dir beibringen, wie man den Teig macht. Der ist ihre Spezialität.«
    »Also, Miz Callie«, sagte Viola, »nimm zwei Schaufeln Mehl aus dem Vorratstopf dort.« Ich blinzelte überrascht. Noch nie hatte sie mich Miss genannt. »Und dann in diese Schüssel damit. Gut.«
    Mutter blätterte derweil ihr Kochbuch durch und plante das Sonntagsessen, während Viola sich bemühte, mich auf dem mühsamen Weg des Kuchenteigmachens voranzuführen. Auf meinen Wegen durch ihre Küche hab ich sie bestimmt eine Million Kuchen backen sehen, und jedes Mal hatte es so einfach ausgesehen. Nie wog sie irgendetwas ab, sie machte alles nach Augenmaß, nach Instinkt, nach Gefühl – hier eine Handvoll Mehl, da daumengroße Stücke Schweineschmalz, schließlich tropfenweise Wasser, mehr oder weniger kalt, je nachdem. Was war schon groß dabei? Jeder Trottel konnte das in zwei Minuten lernen.
    Eine Stunde später stand ich ächzend und stöhnend da und machte den mittlerweile dritten Versuch, einen Teig zu kneten, während Mutter und Viola von Minute zu Minute ungläubiger zusahen. Der erste Teigkloß war wässrig und voller Klumpen, der zweite so zäh, dass er sich nicht ausrollen ließ, der letzte war klebrig wie Tapetenkleister und von derselben unappetitlichen Konsistenz. Teig pappte an meinen Händen und meiner Schürze, auf der Arbeitsplatte und am Schwengel der Wasserpumpe, und ein bisschen saß auch in meinen Haaren fest. Ich glaube, ein Klumpen hing auch am Fliegenpapier, das einige Fuß über meinem Kopf von der Decke baumelte – wie er dahingekommen war, blieb mir ein Rätsel.
    »Beim nächsten Mal sollte sie wohl besser ein Kopftuch aufsetzen, Viola«, kommentierte meine Mutter.
    »Mm-hmm.«
    »Pass auf«, sagte Mutter, »vielleicht sollten wir Viola den Teig fertig machen lassen. Du kannst schon mal die Äpfel schälen und zerteilen. Sieh mal, so hältst du den Apfel, und dann ziehst du das Messer zu dir hin. Aber vorsichtig, es ist scharf.«
    Ich hielt den Apfel und das Messer so, wie sie es mir gezeigt hatte, und schnitt mir gleich beim ersten Versuch in den

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