Cambion Chronicles 1
ihm direkt in die Augen.«
»Mrs Petrovsky, ich … «
»Du musst dir im Klaren darüber sein, was mit dir passiert. Du brauchst Unterweisung und Unterstützung. Ich bin hier, um dir zu helfen, Samara.«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
Sie lehnte sich nach vorn. »Ich glaube, das tust du doch. Dies ist eine recht ungewöhnliche Situation, so etwas ist noch nie vorgekommen, aber es ist nun mal so. Du musst das nicht allein durchstehen. Das verspreche ich dir. Du gehörst jetzt zur Familie, und ich nehme dich als mein Kind an.« Sie setzte sich gerade hin und reichte mir einen kleinen Umschlag. »Ich möchte, dass du das bekommst.«
Ich öffnete den Umschlag, und ein dünnes Armband fiel in meine Hand. Die Erinnerung ließ mein Herz vor Schmerz stolpern. »Das kann ich nicht annehmen.«
Mrs Petrovsky schloss meine Hand über der Kette. »Du kannst es und du wirst es. Jedes meiner Kinder hat so eins, zu seinem Schutz.«
»Aber das gehörte Nadine.«
»Sie braucht keinen Schutz mehr, du aber schon. Du weißt, dass es nicht einfach nur ein Armband ist, ja?«
Ich nickte und schluckte schwer. Das war nicht nur eine rührende Geste, sondern eine Einweihung, ein Übergaberitus, der allen Petrovsky-Kindern zuteil wurde. Ein Privileg, das ich nicht verdient hatte.
»Ich akzeptiere kein Nein in dieser Sache, meine Kleine. Nadine würde wollen, dass du es trägst«, beteuerte sie, bevor ich protestieren konnte. »Nimm es niemals ab – meinem Seelenfrieden zuliebe.«
Ich ließ besiegt die Schultern hängen und machte den Verschluss am Handgelenk zu. Meine Finger strichen über die Inschrift.
Ich wusste, dass Mrs Petrovsky trauerte und dass jede Art von Bewältigung gut war, aber ich wollte keinen zweiten Nathan Ross am Hals haben. »Ich bin nicht Nadine.«
»Das weiß ich, aber Nadine ist in dir und ihr Geist ebenfalls. Du spürst es doch, nicht wahr?«
»Ich … ich weiß nicht.«
Sie hob eine blonde Augenbraue. »Nicht? Hast du deine Augen noch nicht gesehen und den starken Hunger nicht bemerkt, der nichts mit Essen zu tun hat – oder die Tatsache, dass wir polnisch reden, seit ich reingekommen bin?«
Ich wich zurück. Woher zum Teufel konnte ich Polnisch? Wieso kannte ich die Stimme dieser Frau wie meine eigene?
»Als ich hörte, was passiert war, hatte ich so einen Verdacht, aber jetzt, da ich dich sehe, gibt es keinen Zweifel mehr.« Als sie meine Verwirrung bemerkte, fuhr sie fort: »Ich muss dir etwas erklären. Wenn ein Wirt stirbt, versucht der Geist, dagegen anzukämpfen, er klammert sich an das Leben und nimmt so viel E nergie auf, wie er kann. Wenn jede Spur von Leben verschwunden ist, verlässt er den Körper und nimmt das Leben seines Wirtes mit sich. Irgendetwas ist gesche hen, das diesen Vorgang unterbrochen hat, und nun ist der Geist in dir und mit ihm auch Nadines Lebensenergie.«
»Und was ist dann mit Mr Ross’ Geist passiert? Ist der jetzt auch in meinem Körper?«
»Das bezweifle ich sehr. Unsere Wesen sind geschlechtsspezifisch. Der menschliche Körper ist klein im Vergleich zur ungeheuren Ausdehnung eines Geistes. Es ist kaum Platz für einen. Nadines Geist hat dich in Besitz genommen und wird nicht mehr loslassen.«
Ich wusste, dass es stimmte, was sie sagte. Ich konnte mich nur nicht damit abfinden. Wie geht man mit so einer Besessenheit um? Nadine, Caleb und seine Brüder waren mit dieser Krankheit geboren worden, sie kannten nichts anderes, kein anderes Leben. Aber ich wurde nun in eine ganz neue Welt geworfen, ohne Karte oder Kompass, nach denen ich mich richten konnte.
»Das ist sicher schwer für dich zu akzeptieren. Und die Veränderung ist vielleicht unangenehm, aber wir werden dir zur Seite stehen. Caleb und seine Brüder wissen um die Situation und sind bereit, dir durch die Verwandlung hindurchzuhelfen.«
»Verwandlung«, wiederholte ich stumpfsinnig.
»So zu sein wie wir, hat bestimmte Vorteile und Auswirkungen. Ich bin sicher, einige davon kennst du bereits.« Ihr fester Blick forderte mich heraus.
»Sie sagen, dass ich Nadines Lebensenergie aufgenommen habe. Wie lange reicht die Energie?«
»Eine Woche oder so. Aber mit den Erinnerungen ist es etwas anderes. Ich habe noch Erinnerungen an meinen allerersten Spender, und das war nur eine Kostprobe. Also kann ich nur annehmen, dass alles Wissen über Nadine und Mr Ross nun dir gehört. Das kannst du nicht ungeschehen machen. Ich merke, dass seine Vergangenheit dich belastet. Konzentriere dich nicht auf das
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