Camel Club 01 - Die Wächter
den er aufsuchte, war klein, aber hell erleuchtet. Gray setzte sich auf seinen Platz und stülpte sich ein Headset über. Außer Gray befanden sich nur vier weitere Personen in dem Raum. An einer Wand gab es einen Monitor, und auf dem Tisch vor Gray lag eine mit dem Namen Salem al-Omari beschriftete Akte. Er kannte den Inhalt in- und auswendig.
»Es ist spät, also packen wir ’s an«, sagte Gray. Die Beleuchtung wurde gedimmt, der Monitor eingeschaltet, und man sah mitten in einem Zimmer einen Mann auf einem Stuhl sitzen. Er trug blauen Knastlook, jedoch keine Ketten an Händen und Füßen. Den Gesichtszügen nach zu urteilen stammte er aus dem Nahen Osten. Er hatte einen gehetzten, zugleich aber trotzigen Blick. Alle diese Leute verhielten sich trotzig, hatte Gray festgestellt. Wenn er jemanden wie al-Omari sah, musste er unwillkürlich an Romanfiguren Dostojewskis denken, an einen verbannten, der düstersten Grübelei verfallenen Außenseiter, der unablässig Pläne schmiedete und gedankenverloren irgendeine typische Anarchistenwaffe streichelte. Al-Omari hatte das Gesicht eines Fanatikers, eines von krankhafter Bosheit Besessenen – genau der Typ, der Gray jene beiden Menschen für immer entrissen hatte, die ihm das Liebste auf der Welt gewesen waren.
Obwohl al-Omari Tausende Kilometer entfernt in einer Einrichtung saß, von deren Existenz nur sehr wenige Menschen wussten, waren Bild und Ton dank der Satellitenverbindung kristallklar.
Über das Headset richtete Gray auf Englisch eine Frage an al-Omari. Prompt antwortete der Mann auf Arabisch und schmunzelte süffisant. »Mr. al-Omari«, sagte Gray in tadellosem Arabisch, »ich beherrsche Ihre Sprache fließend, besser noch als Sie. Ich weiß, dass Sie lange in England gewohnt haben und sich auf Englisch besser ausdrücken können als auf Arabisch. Deshalb schlage ich vor, dass wir Englisch reden, damit keine Missverständnisse zwischen uns aufkommen.« Das Lächeln wich aus al-Omaris Gesicht, und er nahm auf dem Stuhl eine aufrechtere Haltung ein. Gray erläuterte ihm sein Angebot. Al-Omari sollte als Spion für die Vereinigten Staaten tätig werden und eine der gefährlichsten Terroristengruppen des Nahen Ostens infiltrieren. Sofort lehnte al-Omari ab. Gray wiederholte sein Angebot, und wieder wies al-Omari es zurück. Er behauptete, gar nicht zu wissen, um was es ging.
»Derzeit gibt es weltweit dreiundneunzig vom US-Außenministerium als terroristisch eingestufte Organisationen, von denen die meisten ihren Ursprung im Nahen Osten haben«, erklärte Gray. »Sie haben die Mitgliedschaft in mindestens drei solcher Gruppierungen zugegeben. Darüber hinaus hat man bei Ihnen falsche Pässe, Konstruktionspläne der Woodrow Wilson Bridge und Material zum Bombenbau gefunden. Also, künftig werden Sie für uns arbeiten, oder Ihr Leben wird äußerst unangenehm.«
Al-Omari grinste und beugte sich näher zur Kamera. »Vor Jahren bin ich in Jordanien von Ihrer CIA, Ihrem Militär und Ihrem FBI verhört worden, Ihren so genannten Tiger-Teams. Man hat Frauen zu mir gebracht, die nur Unterwäsche am Leib hatten. Sie beschmierten mich mit Menstruationsblut – oder was sie dafür ausgaben –, sodass ich unrein wurde und meine Gebete nicht verrichten konnte. Sie rieben ihre Körper an mir und versprachen mir Fleischeslust, wenn ich Aussagen mache. Ich habe sie fortgejagt und wurde daraufhin geprügelt.« Er lehnte sich zurück. »Man hat mir mit Vergewaltigung gedroht, und es hieß, ich bekäme davon Aids und müsste sterben. Es ist mir egal. Anders als die Christen fürchten wahre Anhänger des Propheten den Tod nicht. Darin liegt die größte Schwäche der Christen, die zu ihrem Untergang führen wird. Der Islam wird triumphieren. So steht es im Koran. Der Islam wird zum Herrscher über die Welt.«
»Nein, das steht nicht im Koran«, widersprach Gray. »In keiner der einhundertvierzehn Suren. Und auch die Worte Mohammeds erwähnen nichts von Weltherrschaft.«
»Sie haben das Hadith gelesen?«, fragte al-Omari verdutzt, womit er sich auf jenen Text bezog, der die so genannten Worte Mohammeds, seinen Lebenslauf und die Biografien der ersten Moslems umfasste.
»Und ich habe den Koran auf Arabisch gelesen. Leider haben westliche Gelehrte bei der Übersetzung bisher keine sonderlich gute Leistung zustande gebracht. Da Sie den Islam kennen, Mr. al-Omari, müssten Sie wissen, dass er in Wahrheit eine friedliche, tolerante Religion ist und nur nachdrücklich auf seine
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