Camel Club 01 - Die Wächter
Wand an, in der sich unter normalen Umständen Fenster befunden hätten, doch er hatte sein Veto eingelegt und Fenster aus dem Bauplan für das NIC-Gebäude streichen lassen: Sie waren Schwachstellen, Ansatzpunkte für Spione und eine Quelle der Ablenkung. Leicht war Gray dieser Entschluss allerdings nicht gefallen, denn nun verbrachten er und seine Leute ihre Zeit an einem Ort ohne Fenster und ohne Sonnenlicht – ein Ort, an dem er die Vernichtung seiner Welt zu vereiteln versuchte. Was für eine Ironie. Der mächtigste Nachrichtendienst aller Zeiten konnte nicht einmal aus dem eigenen Haus ins Freie blicken.
Ein Signalton drang aus seinem Computer. Gray drückte eine Taste und vertiefte sich mit Interesse in Patrick Johnsons Biografie.
KAPITEL 19
Die Raritätenabteilung im Jefferson Building der Kongressbibliothek umfasste über 800000 kostbare Bände. Als Kronjuwel dieses Literaturschatzes betrachteten zahlreiche Bibliophile Lessing J. Rosenwalds Sammlung alter Bücher und Drucke. Viele davon galten als Incunabula, stammten also aus der Epoche vor 1501, vor dem Aufkommen der Gutenberg’schen Drucktechnik. Die Rosenwald-Sammlung – sowie mehr als hundert weitere Sammlungen – lagerte in etlichen Tresorräumen, die an den Lesesaal der Raritätenabteilung grenzten. In diesem Sanktuarium durften Besucher Bände lesen, die eher Kunstwerke als gewöhnliche Bücher waren, und sie bisweilen sogar berühren.
Obwohl es sich um einen öffentlichen Lesesaal handelte, unterlag er strengen Sicherheitsvorkehrungen. An sieben Tagen die Woche wurde er rund um die Uhr mittels eines geschlossenen Kamerasystems mit Zeiterfassung vollständig überwacht. Angestellte beobachteten im Lesesaal die Einsichtnahme in jedes Buch. Keines verließ die Raritätenabteilung, es sei denn, man verlieh es an eine andere Institution oder auf Sonderanweisung des Direktors der Kongressbibliothek. Die seltensten Exemplare holte man gar nicht aus dem Tresorraum, und wenn doch, dann nur unter genau festgelegten Bedingungen. In vielen dieser Ausnahmefälle wurde das Buch allein vom Bibliothekspersonal berührt; der Besucher selbst durfte die heiligen Seiten nur aus einigem Sicherheitsabstand lesen.
Es waren keine Taschen oder Notizbücher erlaubt, die dazu missbraucht werden könnten, um wertvolle Bände aus der Bibliothek zu schmuggeln; ebenso wenig Kugelschreiber, weil die Gefahr bestand, dass sie die uralten Seiten verschmierten. Ausschließlich Bleistifte und lose Blätter durften in diese heiligen Hallen mitgenommen werden. Und selbst dann schnappten Angestellte oft unwillkürlich nach Luft, wenn eine Bleistiftspitze sich einem ihrer »Schützlinge« weiter als bis auf dreißig Zentimeter näherte.
Oliver Stone erreichte den im zweiten Stock befindlichen Lesesaal und durchquerte die mit Bullaugenfenstern versehene, mit Leder und Messing beschlagene Innentür. Daneben waren riesige Türflügel aus Bronze an die Innenwand geschwungen. Wenn der Lesesaal schloss, verdeckten diese schweren Türflügel die zweite Innentür und bildeten ein beachtliches Hindernis, selbst wenn jemand die elektronische Sicherheitstechnik und die bewaffneten Wächter überwinden sollte. Dieser Lesesaal war einer der schönsten der gesamten Kongressbibliothek. Um ein ruhiges Ambiente von Gelehrtheit und intellektueller Tiefe zu schaffen, hatte man den Saal nach dem Vorbild des georgianisch schlichten Unabhängigkeitssaales in Philadelphia gestaltet. Dieses Ziel hatte man erreicht: Als Stone den Saal betrat, überkam ihn ein Gefühl tiefer Ruhe.
Caleb Shaw arbeitete an seinem Schreibtisch an der rückwärtigen Seite des Saales. Als Referenzspezialist war er Experte für mehrere historische Epochen und half Gelehrten bei Forschungsarbeiten. Als Caleb seinen Freund sah, kam er ihm entgegen und knöpfte dabei die Strickweste zu. Es war ziemlich kühl in dem Saal.
»Du hattest recht, Oliver, ich hätte dich im ersten Moment kaum wiedererkannt«, bestaunte er Stones veränderte Erscheinung.
»Ich fühle mich ganz wohl dabei.« Stone äugte in eine Überwachungskamera. »Anscheinend wird der Saal gut bewacht.«
»So muss es auch sein. Unsere Sammlungen sind unbezahlbar. So etwas gibt es kein zweites Mal auf Erden. Du würdest nicht glauben, welche Schutzmaßnahmen getroffen wurden, damit nichts verschwindet. Wurde ein Buch falsch einsortiert und wird deshalb vermisst, darf niemand das Gebäude verlassen, bis es gefunden worden ist. Und wer für die Bibliothek Bücher
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