Camel Club 01 - Die Wächter
reichten. Anne war mittelgroß und dicklich, hatte ein schwammiges, kleines Gesicht, die Zähne zu blendendem Weiß gebleicht und langes brünettes Haar.
»Die Hochzeit sollte nächstes Jahr am ersten Mai stattfinden«, sagte sie. Ungekämmt und ungeschminkt hockte sie in einem zerknitterten Hausanzug da; zu ihren Füßen lag ein Haufen nassgeweinter Kleenex-Tücher.
»Und es gab Ihres Wissens keinerlei Probleme?«, fragte Alex.
»Nein«, antwortete Anne. »Wir waren glücklich. Auch im Beruf lief alles prächtig bei mir.« Sie traf jede dieser Feststellungen in einem Tonfall, als wären es Fragen.
»Was machen Sie denn beruflich?«, erkundigte sich Jackie.
»Ich bin Entwicklungschefin bei einem Gesundheitspflegeprojekt in Old Town Alexandria. Ich habe die Stelle seit zwei Jahren. Es ist eine wunderbare Tätigkeit. Auch Patrick hat gern in seinem Beruf gearbeitet.«
»Also hat er mit Ihnen darüber gesprochen?«, hakte Alex nach.
Anne Jeffries senkte ein Kleenex-Tuch vom Gesicht. »Nein, nicht konkret. Ich meine, ich wusste, dass er für den Secret Service oder so was Ähnliches arbeitet. Ich wusste aber auch, dass er kein Außenagent war, nicht so jemand wie Sie beide. Er hat aber nie darüber geredet, nicht einmal, wo sein Arbeitsplatz ist. Es gab da einen Scherz zwischen uns, wissen Sie: ›Wenn ich dir verrate, was ich tue‹, sagte er manchmal, ›müsste ich dich umbringen.‹ Mein Gott, was für ein Unsinn…« Wieder füllten ihre Augen sich mit Tränen, und sie hob das Tuch ans Gesicht.
»Ja, das ist Unfug«, pflichtete Alex ihr bei. »Wie Sie bestimmt schon wissen, wurde Ihr Verlobter auf Roosevelt Island gefunden.«
Anne atmete tief ein. »Wir hatten dort unsere erste Verabredung. Zu einem Picknick. Ich erinnere mich noch genau an das Essen, das ich mitgebracht hatte, an den Wein, den wir getrunken haben.«
»Er hat also Selbstmord am Treffpunkt Ihrer ersten Verabredung begangen?«, vergewisserte sich Jackie. »Das könnte von symbolischer Bedeutung sein.« Sie und Alex wechselten einen Blick.
»Aber wir hatten überhaupt keine Probleme!«, rief Anne Jeffries, die den Argwohn spürte.
»Vielleicht nicht aus Ihrer Sicht«, hielt Jackie ihr entgegen. »Es kommt aber vor, dass man den Menschen, den man am besten zu kennen glaubt, in Wahrheit ganz und gar nicht kennt. Bei Ihrem Verlobten wurden eine Flasche Scotch und eine Schusswaffe gefunden, auf denen seine Fingerabdrücke sind.«
Anne Jeffries sprang auf und schlurfte in dem kleinen Wohnzimmer hin und her. »Wissen Sie, es war ja nicht so, dass er ein geheimes Doppelleben geführt hätte…«
»Jeder hat seine Geheimnisse«, widersprach Jackie stur. »Und dass er sich dort umgebracht hat, wo Sie Ihr erstes Rendezvous hatten, tja… Das könnte kein Zufall sein.«
Anne Jeffries wirbelte herum und sah Jackie Simpson an. »Nicht Patrick. Er hatte keine Geheimnisse, die ihn in den Tod hätten treiben können.«
»Hätten Sie davon gewusst, wären es keine Geheimnisse gewesen, oder?«, erwiderte Jackie.
»In seinem Abschiedsbrief stand, dass ihm irgendetwas leidtäte«, meldete Alex sich zu Wort, wobei er Jackie mit einem bösen Blick streifte. »Haben Sie eine Ahnung, was er damit gemeint haben könnte?«
Anne Jeffries setzte sich wieder in den Sessel. »Davon hat das FBI nichts erwähnt.«
»Das FBI ist nicht verpflichtet, solche Informationen zu erteilen. Ich dagegen bin der Ansicht, Sie sollten darüber Bescheid wissen. Fällt Ihnen denn irgendetwas dazu ein?«
»Nein.«
»Hat ihn etwas bedrückt?«, fragte Alex. »Litt er unter Stimmungsschwankungen?«
»Nichts dergleichen.«
»Die verwendete Schusswaffe war ein Revolver der Marke Smith & Wesson, Kaliber zweiundzwanzig. Er hatte einen Waffenschein. Haben Sie den Revolver jemals gesehen?«
»Nein, aber ich wusste, dass er eine Waffe gekauft hatte. In dieser Gegend wurden in letzter Zeit mehrere Einbrüche verübt. Patrick hatte sich die Pistole zum persönlichen Schutz angeschafft. Ich persönlich bin gegen Schusswaffen. Nach der Hochzeit wollte ich ihn überreden, das Ding wegzugeben.«
»Wann haben Sie das letzte Mal mit ihm gesprochen?«, fragte Alex.
»Gesten Nachmittag. Er sagte, er würde mich später anrufen, sobald er eine Gelegenheit findet. Aber er hat sich nicht mehr gemeldet.«
Anne Jeffries wirkte, als würde sie von neuem in Tränen ausbrechen, deshalb stellte Alex rasch die nächste Frage. »Sie haben keine Ahnung, womit er sich in letzter Zeit beschäftigt hat? Ist
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