Camel Club 02 - Die Sammler
schieben.
Er leistete seine Arbeitsstunden für die Regierung ab und machte sein Büro pünktlich dicht. Danach gehörte alle Zeit ihm. Seagraves musste noch ein kleines Informationspaket abholen. Dieses Mal konnte das Treffen nicht so nett verlaufen wie die Zusammenkunft mit der Frau von der NSA, aber man konnte ja nicht bei allen Geschäften das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Es war von höchster Wichtigkeit, dafür zu sorgen, dass seine Informanten zufrieden und verlässlich blieben, und gleichzeitig sicherzustellen, dass kein Verdacht auf sie fiel. Zum Glück hatte er dank seiner Position bei der CIA inoffiziellen Einblick in manche der Ermittlungen, die man gegen heimische Spionageringe betrieb. Zwar traf es zu, dass bei solchen Vorgängen auch das FBI eine große Rolle spielte, zu dem er kaum Beziehungen hatte, doch es war allemal vorteilhaft, zumindest zu wissen, für welche Personen seine Agency sich »interessierte«.
Es sprach für seine Geschicklichkeit, dass noch nie ein Finger auf ihn gezeigt hatte. Anscheinend konnte die CIA nicht glauben, dass einer ihrer einstigen Liquidatoren sich einmal selbstständig machte. Bildete man sich wirklich ein, dass es auf der Welt so zuging? Falls ja, dann fürchtete er für die Sicherheit der USA, wenn der führende Geheimdienst der Nation sich so leicht täuschte. Aber schließlich war da Aldrich Ames gewesen. Doch Seagraves war ein ganz anderer Mensch als dieser Spion.
Auf Befehl seiner Regierung hatte Seagraves Menschen getötet. Darum galten die normalen Spielregeln des Daseins – die Parameter von Vernunft, Recht und Ordnung – für ihn nicht. Er glich einem Profisportler: Weil er viel Einsatz brachte, hatte er hervorragende Ergebnisse vorzuweisen. Doch die Eigenschaften, die seinesgleichen auch auf dem Sportplatz oder Spielfeld so hervorhoben, machten sie außerhalb dieses Bereichs aggressiv. Wenn er ungestraft morden konnte, war Seagraves’ Meinung, konnte er alles tun. Und selbst wenn er den Abzug fürs Gehalt durchgedrückt hatte, war er nie so richtig der Ansicht gewesen, in jemandes Auftrag zu handeln; denn er riskierte sein Leben, mochte es im Nahen Osten oder in Fernost oder an sonst einem Ort sein, an den man ihn schickte, um zu töten. Sein psychologisches Profil hatte bestätigt, dass er Einzelgänger war, und darin hatte man einen der Gründe gesehen, ihn als Killer zu rekrutieren.
Er fuhr zu einem Fitnessstudio in McLean, Virginia, das unweit der CIA-Zentrale auf der Chain Bridge Road lag. Dort spielte er Tennis mit seinem Abteilungsleiter, einem Mann, der sich selbst gern für seinen Patriotismus, seine Diensttüchtigkeit und seine Rückhand lobte.
Jeder von ihnen gewann ein Spiel; danach überlegte Seagraves, ob er seinen Vorgesetzten das dritte Match gewinnen lassen sollte. Doch schließlich setzte sein Kampfgeist sich durch, aber er drehte es so hin, als erränge er einen nur ganz knappen Sieg. Immerhin war er fünfzehn Jahre jünger als sein Chef.
»Heute haben Sie’s mir aber gegeben, Roger«, meinte der Abteilungsleiter.
»Ich war gut drauf. Aber Sie haben’s mir nicht leicht gemacht. Hätten wir das gleiche Alter, hätte ich beim Tennis wohl keine Chance gegen Sie.«
Der Mann hatte seine Karriere in Langley als Sesselfurzer gemacht. Wirklicher Gefahr kam er nie näher als bei der Lektüre der Thriller, die er so gern las. Über Seagraves’ frühere Tätigkeit für die Agency wusste er wenig. Aus naheliegenden Gründen war der Dreimal-sechser-Klub ein sorgsam gehütetes Geheimnis. Immerhin war dem Mann bekannt, dass Seagraves etliche Jahre lang im Außendienst gearbeitet hatte, und zwar in Gegenden, die die Agency als »Brennpunkte« betrachtete. Deshalb genoss Seagraves deutlich mehr Ansehen und Respekt als der Durchschnittskollege.
Im Umkleideraum öffnete Seagraves den Spind, während sein Abteilungsleiter duschte, und nahm ein Handtuch heraus. Er tupfte sich das Gesicht ab und rieb das Haar trocken. Danach fuhren er und der Abteilungsleiter ins Reston Town Center und aßen in Clyde’s Restaurant an einem Tisch nahe beim Gasofen-Kamin in der Mitte des eleganten Speiseraums zu Abend. Nach dem Essen ging jeder seines Weges. Während der Abteilungsleiter nach Hause fuhr, spazierte Seagraves die Hauptstraße des Town Centers entlang und blieb zu guter Letzt vor dem Kino stehen.
An solchen Örtlichkeiten und in Parks der Nachbarschaft hatten Spione in der Vergangenheit Material abgeliefert oder Geld in Empfang genommen.
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