Camel Club 02 - Die Sammler
Stöckelschuhe und halterlose Strümpfe an.
»He, Oliver, ich bin wieder dran!«, beschwerte sich Reuben und rüttelte mit seinen Pranken an Stones Schultern. Stone ließ sich nicht beeindrucken. »Mann, das ist unfair, ich hab das verdammte Fernrohr zuerst gesehen«, nörgelte Reuben.
Vor Stones Augen streifte die junge Frau die Strümpfe an den langen Beinen ab und warf sie Behan zu, der einen der Strümpfe über einen gewissen Teil seiner Anatomie hängte. Die Frau lachte, packte einen Bettpfosten und begann einen recht professionell wirkenden Pole Dance. Als sie die Schuhe von den Füßen schüttelte und sich barfuß und nackt auf Behan zuschwang, der sie lüstern erwartete, überließ Stone das Teleskop wieder seinem Freund.
Reuben justierte das Okular. »So ’n Mist«, murrte er, »du hast es unscharf gemacht!«
»Stimmt gar nicht. Du hast auf die Linse gehechelt.«
Reuben beobachtete das Geschehen. »Ein kleiner, unattraktiver Mann und eine so schöne Frau. Welche Erklärung kann es dafür geben?«
»Ach, ich könnte dir Milliarden Gründe nennen.« Stone wurde nachdenklich. »DeHaven war also ein Spanner.«
»Kann man es ihm verübeln?«, entgegnete Reuben. »Au, das sah aus, als hätte es weh getan! Nee, schon gut, sah schlimmer aus, als es war … Mannomann, diese Grazie ist aber gelenkig! Hals über Kopf, könnte man sagen.«
Stone hob den Kopf. »Wie bitte?«
Reuben war zu hingerissen, um zu antworten. »Aaah, jetzt sind sie auf dem Fußboden gelandet … Uiii, stell dir vor, jetzt hebt sie ihn hoch!«
»Reuben, Milton ruft uns. Caleb und Pearl kommen wohl rauf.«
Doch Reuben hörte nicht zu. »Was ist denn das? So was hab ich bisher bloß im Affenhaus gesehen. Der Lüster muss wirklich fest in der Decke verankert sein.«
»Reuben! Komm!«
»Wie schafft sie das bloß freihändig?«
Stone packte den Freund und zerrte ihn zur Stiege. »Los doch!«
Unablässig beschwerte sich Reuben, während Stone ihn die Stufen hinabschubste. Sie trafen im Erdgeschoss ein, gerade als Caleb und Stone aus dem Lift traten.
Milton warf Stone und Reuben einen bösen Blick zu, weil sie sich erst in letzter Sekunde einfanden. Der Antiquar wirkte fassungslos, wogegen Calebs Gesicht einen Ausdruck des Triumphs zeigte.
»Ich weiß, es muss ein Schock für Sie sein«, sagte er und klopfte Pearl auf die Schulter. »Aber ich habe Ihnen gesagt, es ist ein Original.«
»Also ist es eine 1640er Erstausgabe?«
Pearl nickte matt. »Und ich habe sie in Händen gehalten. In diesen Händen.« Er sank in einen Sessel. »Ich bin fast in Ohnmacht gefallen. Shaw musste mir Wasser reichen.«
»Uns allen unterläuft mal ein Irrtum«, sagte Caleb in verständnisvollem Tonfall, dem sein breites Grinsen jedoch widersprach.
»Noch heute Morgen habe ich jede Einrichtung angerufen, die ein Psalm Book hat«, berichtete Pearl. »Yale, die Kongressbibliothek, die Old South Church in Boston … überall habe ich angerufen. Alle haben mir bestätigt, dass ihr Exemplar vorhanden ist.« Mit einem Taschentuch tupfte er sich das Gesicht ab.
»Wir haben das Exemplar auf sämtliche gängigen Kriterien zur Feststellung der Authentizität geprüft«, sagte Caleb. »Darum haben wir so lange gebraucht.«
»Ich war der festen Überzeugung gewesen, dass es sich um eine Fälschung handelt«, gab Pearl erschüttert zu. »Zwar haben wir das ganze Buch untersucht, aber mir war schon nach einem Blick auf die ersten Seiten klar, dass es echt ist. Schon der ungleichmäßige Druck sprach dafür. Der Drucker hat manchmal die Druckerschwärze verdünnt, sonst sähe man zwischen den Buchstaben Spritzer. In Erstausgaben findet man im Text häufig Flecken getrockneter Druckerschwärze, die das Lesen erschweren. Damals war es noch nicht üblich, die Lettern regelmäßig zu waschen. Auch die übrigen Echtheitsbeweise, die man erwartet, ja, die vorliegen müssen, sind vorhanden. Alle.«
»Selbstverständlich muss die Echtheit noch von einer Expertengruppe offiziell festgestellt werden, die das Exemplar einer stilistischen, historischen und wissenschaftlichen Analyse unterzieht«, merkte Caleb an.
»So ist es«, pflichtete Pearl ihm bei. »Dennoch weiß ich im Herzen schon, wie das Ergebnis ausfallen wird.«
»Dass es ein zwölftes Exemplar des Psalm Books gibt?«, vergewisserte sich Stone.
»Jawohl«, antwortete Pearl mit gedämpfter Stimme. »Und Jonathan DeHaven hatte es in seiner Sammlung.« Er schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht fassen, dass er es
Weitere Kostenlose Bücher