Camel Club 04 - Die Jäger
Haftanstalt, Richter?«, fragte Shirley.
»Genau.« Mosley wandte sich an Annabelle. »Einmal die Woche fahre ich hinauf und schlichte Konflikte zwischen Häftlingen und Vollzugsbeamten. Leider gibt es eine Menge davon.«
»Verstehe.«
»Rehabilitation heißt der Schlüssel zum Erfolg«, sagte der Richter. »Obwohl nur wenige Häftlinge des Blue Spruce irgendwann wieder als freie Menschen das Tageslicht sehen werden, verdienen sie ein gewisses Maß an Achtung und Würde.«
»Das hat Josh auch gedacht«, entfuhr es Shirley. Mosley und Annabelle drehten sich um und schauten sie an. Shirley wurde rot. »Mein Ehemann. Er war auch Vollzugsbediensteter da oben.« Sie heftete den Blick auf Annabelle. »Wie gesagt, er ist ums Leben gekommen … bei dem Unfall. Er war der Meinung, man sollte Menschen stets mit Respekt begegnen, egal was sie getan haben und ob sie Häftlinge sind oder nicht.«
»Vollkommen richtig«, stimmte Mosley ihr zu. »Ich bin der Erste, der zugibt, dass Howard Tyree kein unbedingter Anhänger dieses Prinzips ist, aber eben deshalb muss immer wieder darauf hingewiesen werden. Und dank meiner Anwesenheit einmal in der Woche kann jeder sehen – hoffe ich wenigstens –, dass man einen gemeinsamen Nenner finden kann.«
»Howard Tyree?«, wiederholte Annabelle den Namen und runzelte die Stirn.
»Der Bruder des Sheriffs«, sagte Shirley. »Er ist Direktor des Dead Rock.«
Mosley lächelte Annabelle zu. »Der offizielle Name der Haftanstalt lautet Blue Spruce, aber die Bürger nennen sie Dead Rock.«
»Und zwar deshalb«, sagte Shirley gereizt, »weil dort eine Gruppe Bergleute beim Einsturz eines Stollens begraben wurde. Man hat sie nie bergen können. Stattdessen hat man die Grube zugeschüttet und einen verdammten Knast darauf gebaut. Einer der Verunglückten war mein Vater.«
Tränen verschmierten Shirleys Mascara, während Annabelle und Mosley höflich zur Seite schauten. »Der Beruf des Bergmanns ist sehr gefährlich«, gab der Richter schließlich zum Besten.
»Leuchtet mir ein«, bemerkte Annabelle.
»Also, Ladys, dann noch einen schönen Tag.«
Als Mosley gegangen war, erhob sich Annabelle. »Ich glaube, ich lasse Sie jetzt in Ruhe Ihre Arbeit erledigen.«
»Zu dumm, dass ich Ihnen nicht helfen konnte«, sagte Shirley mit rauer Stimme.
Aber nein, dachte Annabelle, du hast mir durchaus geholfen, Lady.
KAPITEL 65
Stone und Knox mussten fast sechs Stunden festgezurrt liegen bleiben, schliefen jedoch die ganze Zeit. Anscheinend ärgerte es die Wärter, die erschienen, um sie zurück in die Zelle zu bringen, dass sie die Schikanen so gut überstanden hatten.
Man kleidete sie wieder in orangerote Overalls und schleifte sie in die Zelle. Angesichts der ständigen Verhöhnung durch die Wärter mussten beide Männer eine erhebliche Selbstbeherrschung an den Tag legen. Während Knox sich auf die Lippe biss, starrte Stone bloß geradeaus, ohne mit der Wimper zu zucken, und tröstete sich mit der Überzeugung, dass geduldiges Warten irgendwann in Gelegenheiten mündete.
Eine Stunde später wurden sie von Neuem nackt durchsucht, mit Hand- und Fußschellen gefesselt und in den Speisesaal geführt. Dort nahm man ihnen wenigstens die Handschellen ab, damit sie essen konnten.
Knox knurrte der Magen, als sie sich an einen noch freien Tisch setzten. Sie schauten sich die übrigen Häftlinge an. Durch rasches Zählen kam Stone auf eine Gesamtzahl von fast fünfhundert Sträflingen. Mehr als drei Viertel waren Schwarze; sämtliche anwesenden Wärter hingegen waren Weiße.
Etliche Häftlinge beobachteten ihrerseits Knox und Stone und zeigten dabei eine große Bandbreite unterschiedlicher Emotionen, angefangen von Gleichgültigkeit über Neugier bis hin zu Feindseligkeit. Nur wenige Männer unterhielten sich. Die Mehrheit konzentrierte sich aufs Essen. Knox senkte den Blick auf das Tablett, als jemand ihm eine Mahlzeit an den Platz schob. »Ich frage mich«, wandte er sich an Stone, als der Essensausteiler sich entfernt hatte, »ob man uns zu diesem Fraß wenigstens einen bekömmlichen Cabernet reicht.«
»Ah! Humor, Knox. So gefällt es mir. Man kann sich damit die Zeit vertreiben. Was sehen Sie hier?« Stone wies in die Runde auf die Gefängnisinsassen.
»Bedauernswerte Schweine wie uns. Nur dass wir kein Verbrechen begangen haben. Das heißt, zumindest habe ich keins verübt.«
Mit einem weichen Styroporlöffel, den man als einziges Besteckteil zur Verfügung stellte, verzehrte Stone einen
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