Camel Club 04 - Die Jäger
der sämtliche Pokale im Sport gewann, während Howard die akademischen Auszeichnungen einheimste. Wir waren der Dummkopf und der kluge ältere Bruder. Aber Howard hatte noch eine andere Seite. Einen Hang zur Grausamkeit, könnte man sagen. Bevor ich größer als er wurde, hat er mich oft geschlagen, wenn ich nicht so wollte wie er. Darum haben wir uns nie besonders nahegestanden. Und er hat gern protzig gelebt. Auch wenn er der Boss im Hochsicherheitsgefängnis ist – Vollzugsbeamte können es sich eigentlich nicht leisten, auf großem Fuß zu leben.«
»Peterson war Buchhalter«, konstatierte Alex. »Vielleicht hat er für den Drogenring die Finanzverwaltung gemacht. Womöglich hat er sich heimlich bereichert, und man ist ihm auf die Schliche gekommen.«
Tyree schabte sich mit der Hand am Kinn. »Dahinter könnte sogar noch mehr stecken.«
»Und was?«
»Wir haben bei uns einen Gemeindefonds. Es geht dabei um Investitionen, die Peterson buchhalterisch verwaltet hat.«
»Gemeindefonds?«, wiederholte Annabelle.
»Ja, Bürger und Geschäftsleute haben Geld dafür zusammengelegt. Abby hat sehr viel investiert, sie hatte ja auch mehr als alle anderen. In den letzten Jahren hat es sich gut ausgezahlt. Es gab eine einträgliche Dividende.«
»Und das ist der Grund«, sagte Reuben, »weshalb Divine besser gedeiht als die anderen Orte in der Umgebung.«
»Der wahre Grund könnte etwas ganz anderes sein als kluge Investitionen«, sagte Harry.
»Ja«, pflichtete Alex ihm bei. »Wenn der Gemeindefonds zur Abwicklung der Drogengeschäfte missbraucht wird … zur Geldwäsche.«
»Es ist die perfekte Methode«, sagte Annabelle. »Man verteilt viele kleinere Schecks. Nebenbei füllt es die Gemeindekasse. Wer sollte schon Verdacht schöpfen? Geld stinkt bekanntlich nicht.«
»Und wenn Ihr Freund tatsächlich in dem Knast sitzt, wie sollen wir dann zu ihm vordringen?«, fragte Tyree. »Für einen Durchsuchungsbefehl haben wir nicht genug konkrete Verdachtsmomente.«
»Einen Durchsuchungsbefehl sparen wir uns«, entgegnete Annabelle. »Wir müssen einfach reingehen und ihn rausholen.«
Alle blickten sie befremdet an. »Ich weiß nicht, ob das ein guter Einfall ist, Ma’am«, sagte Tyree nervös. »Mein Bruder ist ein verdammt cleverer Zeitgenosse. Wenn er tatsächlich mit der ganzen Sache zu tun hat, wird er uns nicht erlauben, bei ihm reinzuplatzen und alles auf den Kopf zu stellen.«
»Macht nichts, Sheriff. Ich gehe in den seltensten Fällen durch die Vordertür. Shirley hat mir von den verschütteten Bergleuten erzählt, wegen denen das Gefängnis auch Dead Rock genannt wird. Sie sprach von einem Parallelstollen. Ich frage mich, wo dieser Stollen ist und wie weit er in den Berg führt.«
»Solche Einzelheiten kenne ich nicht«, gestand Tyree.
»Ich kann in der Bibliothek recherchieren«, erbot sich Caleb.
»Und informiere dich über alles, was es über Dead Rock zu erfahren gibt«, sagte Annabelle. Dann schaute sie Tyree an. »Ich möchte gern, dass Sie mir alles über den Knast erzählen. Alles, was Sie wissen.«
»Geht klar«, willigte Tyree ein. »Aber man hat dort oben zahllose Möglichkeiten, Leute zu verstecken.«
»In gewisser Weise baue ich genau darauf«, antwortete Annabelle.
KAPITEL 74
Dieses Mal war es ein anderer Hubschrauber, der in der Gegend um Divine durch den Luftraum ratterte, über die Wipfel der Waldlandschaft schwirrte und schließlich auf dem Parkplatz des Gefängnisses Blue Spruce landete.
Dem Flugapparat entstieg ein einzelner Mann; ohne Eile näherte er sich dem Gebäudekomplex.
Am Eingangstor bedurfte es eines kurzen Wortaustausches und eines Telefonats. Für einen so seltenen Besucher kam der Direktor sogar persönlich zum Haupteingang. Macklin Hayes drückte Howard Tyree die Hand.
»Was will denn die CIA bei uns?«, fragte Tyree missmutig.
»Ich glaube, Sie halten hier einen meiner Untergebenen fest«, antwortete der CIA-Chef durchaus freundlich.
»Ich habe keinen blassen Schimmer, wovon Sie reden.«
»Na schön, ich spiele mit. Im Moment jedenfalls. Der Mann heißt Joe Knox, eins fünfundachtzig groß, glattes schwarzgraues Haar. Er war in Begleitung eines zweiten Mannes mit kurzem weißem Haar, der etwas kleiner und hagerer ist. Je nach Tag oder Umständen hört er auf den Namen Oliver Stone oder John Carr.«
»Hier gibt es keine Sträflinge, auf die diese Beschreibungen zutreffen. Und nun muss ich Sie bitten zu gehen. Wir verwalten hier ein Hochsicherheitsgefängnis,
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