Camel Club 04 - Die Jäger
waren und verstorben sind, hat das Blue Spruce sämtliche Besuchsanträge zurückgewiesen.«
Alex schaute Tyree an. »Ich weiß, er ist Ihr Bruder, aber das alles geschieht vor Ihrer Haustür, und Sie haben nie etwas dagegen unternommen?«
»Es gibt einen weiteren Grund, weshalb Howard und ich uns nicht mehr so nahestehen. Was meinen Sie, wer Amnesty International auf das Gefängnis aufmerksam gemacht hat?«
»Sie?«, fragte Caleb.
»Einmal habe ich einen Gefangenentransport dorthin begleitet. Hab mich ein bisschen umgeschaut, als niemand auf mich geachtet hat. Mein großer Bruder dachte wahrscheinlich, er könnte mir trauen, aber ich habe einiges gesehen und gehört. Ja, ich habe Amnesty verständigt. Später kam Howard dahinter, und das war das offizielle Ende unserer brüderlichen Liebe. Seither bin ich nicht mehr im Blue Spruce geduldet.«
»Lassen Sie uns diese Einrichtung doch bei ihrer passenden Bezeichnung nennen, ja?«, meinte Annabelle ernst. »Dead Rock.«
»Und trotz all dieser Vorgänge haben das Justizministerium oder die Bürgerrechtskommission keine Untersuchung eingeleitet?«, fragte Harry Finn. »Nicht einmal Virginias Ministerium für Strafvollzug?«
Caleb blickte auf seine Notizen. »Anscheinend haben die Rechte der Gefängnisinsassen derzeit weder auf Bundes- noch Landesebene sonderliche Priorität. Eine staatliche Untersuchung war im Gespräch, aber es ist nichts daraus geworden, und im Justizministerium beschäftigt man sich zurzeit nicht damit. Und während der letzten zwei Jahre hat das Gefängnis kaum noch Besuche genehmigt.«
»Also regiert Howard Tyree sein kleines Privatreich und kann tun und lassen, was er will«, knurrte Reuben. »Sogar Drogen umschlagen. Und Unschuldige einlochen.«
»Sieht ganz so aus«, bestätigte Caleb.
»Und was ist mit dem Stollen?«, fragte Annabelle.
»Auch darüber habe ich Informationen gefunden«, antwortete Caleb und nahm mehrere Seiten Text zur Hand, die er in der Bibliothek ausgedruckt hatte. »Man hat ihn in Parallelrichtung zu dem Stollen gegraben, in dem die Bergleute eingeschlossen waren. Ich habe ein paar Zeitungsberichte darüber gelesen und sie mit Artikeln verglichen, die ich über den Bau der Vollzugsanstalt entdeckt habe. Ich kann aber nichts mit Gewissheit sagen. Es ist ja nicht so, dass man die Baupläne von Hochsicherheitsgefängnissen ins Internet stellt. Aber mein Eindruck ist, dass der Rettungsstollen bis weit hinauf unter den Höhenrücken geführt hat, weil die Verunglückten dort festgesessen haben. Bei der Explosion stürzte der Stollen ein, in dem sich die Eingeschlossenen befanden, während der Rettungsstollen erhalten blieb. Das steht fest, weil die Arbeiter alle überlebten. Es heißt hier, dass man den Einstieg des Bergwerks zugeschüttet hat, aber über den Rettungsstollen wird nichts Derartiges erwähnt.«
»Aber wenn man einen Hochsicherheitsknast auf einem alten Bergwerk baut und weiß, dass darunter ein intakter Stollen verläuft«, sagte Reuben, »wird man ihn doch wohl verschließen.«
»Verschließen ja, kann sein«, antwortete Annabelle, während sie auf und ab ging. »Doch auf eine Art und Weise, die es ermöglicht, ihn jederzeit zu öffnen.«
»Mir ist bekannt, dass Howard in die Bauvorbereitungsphase einbezogen war«, äußerte Tyree. »Es entspräche ganz seinem Geschmack, sich solche Optionen offenzuhalten.«
»Wieso denn nur?«, fragte Alex. »Auf diesem Weg könnten doch Gefangene entkommen.«
Annabelle wandte sich ihm zu. »Nach dem, was Caleb uns über Dead Rock zu erzählen weiß, gibt es dort kaum eine Chance zur Flucht. Die Sträflinge sind in Einzelhaft und werden vor jedem Verlassen der Zelle durchsucht und mit Ketten gefesselt. Es gibt fast so viele Wärter wie Insassen, und Letztere haben nur eine Stunde Freizeit am Tag. Die Verhältnisse sind ideal, um einen Drogenhandel zu organisieren, in dessen Ablauf häufiger einige von Tyrees Männern mitten in der Nacht heimlich das Gefängnis verlassen müssen, um bestimmte Dinge zu erledigen.«
»Aber wenn Wärter in die Drogengeschäfte verwickelt sind, wieso betreiben sie diese Geschäfte nicht einfach von zu Hause aus?«, fragte Caleb.
»Ich schätze Howard als Kontrollfreak ein. Er will immer den Daumen auf jedem Mann haben.«
»Da haben Sie recht«, sagte Tyree.
»Wenn die Lieferungen regelmäßig im Gericht eintreffen und eine Anzahl Kisten umgeleitet werden«, überlegte Alex, »wohin gehen sie dann?«
»In den Knast«, sagte Tyree.
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