Camel Club 04 - Die Jäger
Zimmerservice beinhaltete Kekse und Softdrinks, die man sich allerdings selbst aus einer Kühltheke neben der kleinen Rezeption holen musste. Knox zeigte dem Rezeptionisten Stones Phantombild, aber der Mann schüttelte nur den Kopf und setzte sich mit seiner Dose Budweiser wieder vor den Fernseher.
Knox streifte eine Stunde lang durch die Straßen und hielt Passanten und Ladenbesitzern das Phantombild unter die Nase. Entweder hatte wirklich kein Mensch den Mann gesehen, oder keiner wollte etwas sagen.
Voll bekleidet setzte Knox sich in seinem Zimmer aufs Bett, aß Käse-Erdnussbutter-Sandwiches im Miniformat und trank Diät-Cola. Er zappte in den Fernsehprogrammen von Kriegen zu Naturkatastrophen und Korruptionsskandalen, wechselte vom Sportkanal ESPN zu NASCAR und schließlich zum Sender TV-Land, um ausgerechnet eine jahrzehntealte Folge von Happy Days zu erwischen.
Carr war der Gejagte, Knox der Jäger. Das jedenfalls sollten ihre offiziellen Rollen sein. In Wirklichkeit aber konnten diese Rollen jederzeit wechseln; in Anbetracht der Fähigkeiten Carrs musste man die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kam, sogar als recht hoch einschätzen. Und nach allem, was Knox mittlerweile in Erfahrung gebracht hatte, war ihm wegen seiner »Rückendeckung« ganz schön mulmig, bestand sie doch aus Macklin Hayes, dem Großmeister des Fallenstellens und der Schuldzuweisung.
Knox suchte das Handy heraus und tippte eine Rufnummer.
»Hallo?«
»Hi, Melanie. Ich bin’s, Dad.«
»Dad! Ich habe gerade an dich gedacht. Wollen wir uns morgen Abend treffen? Ich habe Karten für Wicked, die Hexen von Oz.«
»Tut mir leid, Schätzchen, ich kann nicht. Ich bin unterwegs.«
»Wo bist du denn? In Paris? Amsterdam? Kabul? Tikrit?« Melanie sprach in unbekümmertem, lockerem Tonfall, aber Knox kannte seine Tochter gut genug, um aus ihren scheinbar sorglosen Worten die Beunruhigung herauszuhören.
»Ich bin ein Stück westlich von dir. Auf dem Land.«
»Verstecken die Terroristen sich jetzt in Heuschobern?«
»Man kann nie wissen, Schätzchen. Hast du wieder mal was von deinem Bruder gehört?«
»Heute Morgen ist eine E-Mail gekommen. Las sich so, als ging’s ihm gut. Er hat ein paar Fotos angehängt. Leider gibt es aber auch schlechte Neuigkeiten. Eigentlich sollte seine Einheit in vier Wochen abgezogen werden, aber jetzt ist die Nachricht gekommen, dass der Einsatz um sechs Monate verlängert wird. Offenbar sind die Taliban wieder mächtig im Aufwind. Mark sagt, es werden zwanzigtausend Soldaten aus dem Irak nach Afghanistan verlegt und dass er vielleicht sogar noch länger bleiben muss.«
Knox fluchte unterdrückt vor sich hin. »Ich weiß, dass er seinen Einsatzort nicht nennen darf, aber ist er zurzeit an vorderster Front?«
»Er sagt nur, dass er versucht, sich in Deckung zu halten und trotzdem seine Pflicht zu erfüllen.«
Knox streckte sich auf dem Bett aus. »Sag mal, was hältst du davon, wenn wir zusammen verreisen, sobald Mark zurück ist? Irgendwohin, wo wir gemeinsam ein bisschen Ruhe finden. Vielleicht ans Mittelmeer. Nur wir drei. Zum Entspannen und Luftholen. Auf meine Kosten.«
»Klingt großartig. Aber das Mittelmeer ist teuer, und vermutlich verdiene ich mehr als du. Wie wär’s, wenn ich meinen Teil dazu beitrage? Am ärmsten von uns ist Mark dran. Für den Dienst an der Heimat kriegt er nicht mal den Mindestlohn.«
»Nein, das geht auf meine Kosten. Du musst dein Geld zusammenhalten.«
»Warum?«
»Damit du dich auf meine alten Tage um mich kümmern kannst. Ich will diesen Scheiß ja nicht ewig machen.«
Bei der letzten Bemerkung veränderte sich Knox’ Tonfall, was seiner Tochter nicht entging. »Dad, ist alles in Ordnung bei dir?«
»Alles bestens. Und wenn ich dir noch einen Rat geben darf: Verschwende deine erstklassigen Karten nicht für alte Säcke wie mich. Schau dir Wicked zusammen mit einem netten jungen Mann an. Ich möchte Enkel haben, klar? Ich werde schließlich nicht jünger.«
»Okay, geht klar.«
»Wir sprechen uns bald wieder, Schätzchen.«
»Bis dann, Dad. Und pass auf dich auf.«
»Wird gemacht.«
»Dad?«
»Ja?«
»Ist mit dir auch wirklich alles in Ordnung?«
Er zögerte mit der Antwort, obwohl er dies gerne vermieden hätte. »Es wird alles gut, Melanie.«
Knox beendete das Gespräch und warf das Handy aufs Bett. Er fühlte sich lausiger als vor dem Telefonat. Er wusste, dass er seiner Tochter Angst eingeflößt hatte, ohne es rückgängig machen zu können. Vielleicht
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