Camel Club 04 - Die Jäger
ist er kein Experte in Pathologie, aber er ist ein qualifizierter Mediziner. Außerdem lag der Fall klar: Debby hat sich den Gewehrlauf in den Mund gesteckt und abgedrückt.« Während er den letzten Satz sprach, wich Tyree Stones Blick aus.
Stone bemerkte es. »Ich will mir nicht anmaßen, Ihnen vorzuschreiben, wie Sie Ihre Arbeit erledigen sollen«, sagte er, »aber es kommt äußerst selten vor, dass eine Frau sich mit einer Schusswaffe umbringt. Da hier so viele Drogen in Umlauf sind, wäre es für Debby naheliegend gewesen, sich in aller Heimlichkeit und Stille mit Pillen ins Jenseits zu befördern.«
»Ich weiß. Diese Überlegung hat auch mich die ganze Zeit beschäftigt.«
»Ich habe Danny eines späten Abends mal auf Debbys Grab liegen sehen«, wagte Stone sich weiter vor.
Tyree wirkte überrascht. »Wo sind Sie denn gewesen?«
»Hinter der Steinmauer. Weil ich etwas gehört hatte, wollte ich nach dem Rechten sehen. Ich wollte mich um Danny kümmern, aber Sie waren schneller da.«
Tyree war sein Unbehagen anzusehen. »Ja, das war das Verrückteste, was ich je erlebt habe. Ich habe gar nicht kapiert, was er da trieb. Danny ist eben Danny, hab ich mir gesagt.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Dass er unberechenbar ist.«
»Abby hat ihn gedrängt, Divine zu verlassen.«
Tyree lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und bedachte Stone mit einem mürrischen Blick. »Das hat sie mir verschwiegen«, sagte er. »Und Ihnen hat sie es erzählt?«
»Ja. Ich nehme an, sie hatte Angst um seine Sicherheit. Und wenn man bedenkt, was ihm nach der Rückkehr passiert ist, war ihre Sorge berechtigt. Vielleicht hat sie sich gescheut, es Ihnen zu sagen.«
»Wieso?«
»Sie sind Gesetzeshüter. Vielleicht war Danny an etwas Illegalem beteiligt.«
Tyrees Unmut fiel von ihm ab. »Dann könnte ich sogar verstehen, dass Abby mir nichts gesagt hat. Übrigens, ich schicke die Täterbeschreibung, die Sie mir gegeben haben, an die Polizei des Bundesstaates und an die Sheriffbüros anderer Gemeinden. Aber wenn man bedenkt, dass ich fast jeden hier kenne, würde ich mir an Ihrer Stelle keine großen Hoffnungen machen.«
»Tja, es war dunkel, und alles ist sehr schnell gegangen. Genau habe ich die Männer nicht gesehen. Aber kurz vor dem Überfall auf Danny habe ich Shirley Coombs dabei erwischt, wie sie in Willies Wohnmobil herumschnüffelte. Ich glaube, sie hat irgendwas gesucht.«
»Und was?«
Stone erzählte ihm von dem Tylenol-Fläschchen. »Und Josh Coombs ist von seinem Freund Rory Peterson erschossen worden. Eine seltsame Konstellation.« Stumm nickte Tyree. »Es gibt da eine Menge offener Fragen«, fügte Stone hinzu.
»Aber wie findet man die alles klärende Antwort? Darum geht es doch.«
Stone stand auf. »Ich fahre zur Klinik und besuche Danny und Willie.«
»Dann richten Sie Danny von mir aus, er soll allmählich mit der Wahrheit herausrücken. Er ist unser Dreh- und Angelpunkt, um den Tatsachen auf den Grund zu kommen, davon bin ich überzeugt. Sobald wir alles wissen, sind diese Kerle keine Gefahr mehr für ihn.«
»Ich werde es ihm sagen.« Als er sich zum Gehen wandte, bemerkte Stone auf einem Tisch eine langläufige Flinte, an der ein Zettel hing. »Was ist das?«
»Die Waffe, mit der Debby sich umgebracht haben soll.«
»Darf ich sie mir ansehen?«
»Nur zu.«
Stone nahm die Flinte erst am Kolben, dann am Lauf. Als er sie zurücklegte, lag ein Ausdruck des Befremdens auf seinem Gesicht.
»Was ist?«, fragte Tyree.
»Ich bin mir nicht sicher … Ich sag’s Ihnen später.«
In Wirklichkeit war Stone sich vollkommen sicher. Er war über eins achtzig groß und hatte überdurchschnittlich lange Arme. Nach seiner Schätzung könnte er es schaffen, auf den Abzug zu drücken, wenn er die Mündung im Mund hätte – aber nur so gerade eben. Er dachte an das Foto von Debby und Willie, das Willie ihm gezeigt hatte. Dass die kleine, zierliche Debby sich auf diese Weise erschossen hatte, war völlig unmöglich.
Jemand anders musste sie getötet haben.
Als Stone hinausging, entdeckte er das Schild an dem einstöckigen Gebäude auf der anderen Straßenseite. Rory Peterson – Steuerberatung und Buchhaltungsservice. Er überquerte die Straße und spähte in ein Fenster. Im Innern sah er einen Schreibtisch, Aktenschränke, Regale und eine vertrocknete Schwertlilie. Sonst schien alles ausgeräumt worden zu sein. Kein Computer, Drucker oder Faxgerät befand sich in Stones Blickfeld. Er bemerkte, dass einige
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