Camel Club 04 - Die Jäger
eigentlich?«
»Wenn es drauf ankommt, bin ich der richtige Fahrer.«
Annabelle setzte sich auf dem Beifahrersitz zurecht und schnallte sich eilends an, während Caleb mit fast neunzig Stundenkilometern erst durch eine, dann durch eine zweite Kurve schoss. Als Annabelle Zeit zum Hinschauen fand, bemerkte sie, wie professionell er das Lenkrad bediente und wie sicher der bullige Lieferwagen, der für diese Art von Gelände nun wirklich nicht gebaut war, die Spur hielt.
»Wie machst du das, Caleb?«
»Nicht schlecht, was?«
»Wo hast du so fahren gelernt?«
Er seufzte. »Was glaubst du wohl, weshalb ich all die Jahre den schrottreifen Nova behalten habe?«
»Keine Ahnung. Ich dachte, du bist entweder sparsam, oder du hast einen schlechten Geschmack. Oder beides.«
»Sparsam bin ich durchaus, aber ich habe Geschmack. Nein, es ist wegen meinem Vater.«
»Inwiefern?«
»Mein Vater war Stockcar-Fahrer.«
»Echt?«
»Ja. Nachdem er sich vom Rennsport zurückgezogen hatte, war er in einer NASCAR-Boxenmannschaft tätig. Für Richard Petty.«
»King Richard?«
Caleb nickte. »Und ich war sein Schützling.«
»Was?«
»Du hast es doch gehört.«
»Du und Richard Pettys Schützling? Du willst mich veräppeln.«
»Von wegen! Ich bin schon mit sechs Jahren Gokart-Rennen gefahren. Mit sechzehn war ich Top-Neuling in einem Werksteam. Richard Petty wurde auf mich aufmerksam. Ich sollte in Indianapolis fahren, später in Le Mans und Monte Carlo. Ich war der aufsteigende Stern im amerikanischen Motorsport … aber dann ging’s in die Binsen.«
»Oh nein! Was ist passiert?«
»Es geschah bei der Qualifikation in Darlington. Manche nennen die Strecke ›Büroklammer‹, weil sie so aussieht. Andere nennen sie ›Lady in Black‹. Sie wurde mir zum Verhängnis.«
»Mein Gott! Was ist denn passiert?«
Calebs Miene wurde düster. »Die Lady in Black kennt keine Gnade. Ich kam mit zweihundertneunzig Sachen aus der vierten Runde, als ein Reifen die Bodenhaftung verlor. Die Kiste streifte die Abtrennung. Der rechte Vorderreifen platzte, und ich verlor die Kontrolle über den Wagen. Damals gab es noch keine Dachklappen, darum geriet die Kiste ins Schleudern und hob ab. Sie flog über Innenmauer und Boxenwand, geradewegs in eine Boxenmannschaft.«
Annabelle riss die Augen auf. »O Gott!«
» Meine Boxenmannschaft«, sagte Caleb düster. »Meine persönliche Boxenmannschaft.«
Annabelle schnappte nach Luft. »Es hat doch nicht deinen Vater erwischt, oder?«
Caleb drehte den Kopf und blickte sie aus feuchten Augen an. »Ich habe den Unfall mit Beulen und Prellungen überstanden, aber Dad lag monatelang in der Klinik, auf Leben und Tod, bis er über den Berg war. Danach war ich nicht mehr imstande, Rennen zu fahren. Ich konnte keinen Gang mehr einlegen, konnte nicht mehr einparken, konnte nicht mal mehr auf den Tacho gucken. Ich habe alles aufgegeben. Hab mein Leben umgekrempelt. Bin vom Rennfahrer zum Bibliothekar geworden. Ich wollte weg von der Rennfahrerei, von der ganzen Szene. Aber den Nova habe ich behalten. Er ist eines der ersten Autos, in denen ich gestartet bin. Ich habe ihn in dieses hässliche Grau umgespritzt, damit die Rallyestreifen und die Startnummern nicht mehr zu sehen sind. Ich hatte die Nummer zweiundzwanzig, deshalb nannte man mich in der Szene den Doppel-Zwo. Der Wagen ist eine unscheinbare Kiste, aber unter der Motorhaube – wow! Über vierhundert PS und ein Gaspedal, das mich nie im Stich gelassen hat. Erst Jahre später hatte ich mich wieder gefangen. Als Centreville noch eine Kuhweide war, bin ich in manchen Nächten aus Nostalgie über die Landstraßen gebrettert. Einmal hab ich die Karre auf fast dreihundert hochgeheizt.« Er seufzte. »Tja, so war das damals.«
»Oh, Caleb, es tut mir so schrecklich leid.« Sanft drückte Annabelle seine Schulter.
Einige Augenblicke des Schweigens verstrichen. »Jetzt habe ich dich aber richtig schön verarscht.« Annabelle starrte ihn an. Caleb wieherte vor Lachen. » Ich und Richard Pettys Schützling? Ich bin froh, dass ich den Führerschein geschafft habe.«
»Du hast dir das Ganze nur ausgedacht? Du Mistkerl!« Sie boxte ihn vor die Brust. Doch aus ihrer Miene sprach so etwas wie Bewunderung.
»Glaubst du vielleicht, du bist die Einzige, die sich überzeugende Lügen ausdenken kann? Ich habe mein gesamtes Erwachsenenleben in einer Bibliothek zugebracht, Annabelle. Ich kann beim Geschichtenerfinden mit den besten Autoren mithalten.«
»Das erklärt
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