Camorrista
Sinn. Aber was er mit ihm gemacht hat, das hätte ich nie mit ihm gemacht. Da erinnern sich alle im Viertel dran. Sie haben ihn eines Morgens im Stadtpark gefunden, wie er an einer Schaukel hing, mit dem Kopf nach unten. Er war halb tot, hatte mehr Zähne auf der Erde als im Mund, aber keiner hat sich getraut, ihn da runterzuholen, aus Angst. Es musste ein Krankenwagen kommen, und da war es schon fast elf. Es heißt, er hat eine Woche auf der Intensivstation gelegen. Und dann hat er sich nicht mehr blicken lasen, nicht im Viertel, meine ich. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Aber für ihn war kein Platz mehr. Es ist für keinen mehr Platz, wenn er sich gegen den stellt, gegen Cocíss, meine ich. Der ist wie ein Auto ohne Fahrer, das mit 300 Sachen losrast. Ein Auto, das mit Koks statt mit Benzin fährt. Ich arbeite für ihn, aber ich habe wenig mit ihm zu tun. Ich sehe ihn selten, fast immer nachts, er ist immer nachts unterwegs, tagsüber weniger. Ich sehe ihn ein oder zwei Mal im Monat insgesamt, und je seltener
ich ihn sehe, desto besser geht es mir. Wir wechseln ein paar Worte, er fragt mich, ob alles in Ordnung ist, und sagt mir, ich soll meine Arbeit gut machen und nicht mehr fixen, weil ich jetzt Familienvater bin, und zu einem Familienvater passt es nicht, dass er Drogen nimmt. Ich sage ihm, dass er recht hat, und wenn er dann das Geld zählt, halte ich die Luft an, weil ich immer Angst habe, dass was fehlt oder dass er irgendein Problem erfindet, um mich fertigzumachen.«
»Cocíss habe ich nur ein paar Mal in der Spielhalle gesehen. Ich habe nie mit ihm gesprochen, aber ein älterer Freund von mir schon. Cocíss ist einer, den alle respektieren. Er ist gut angezogen und hat immer Geld und ein neues Motorrad. Manche sagen, er hat mit schlimmen Sachen wie Drogen zu tun, aber er zwingt die ja nicht dazu, Drogen zu nehmen. Und wenn es welche gibt, die Drogen kaufen, gibt es immer einen, der sie verkauft. Es heißt, dass einer was nicht bezahlt hatte, und da haben ihm Cocíss und zwei andere eines Nachts in der Bahnunterführung beide Knie kaputtgehauen. Seitdem sitzt er im Rollstuhl, weil er nicht genug Geld hat, um sich operieren zu lassen. Das war nicht schön, ich meine, es gefällt mir nicht, wenn Leute geschlagen oder sogar umgebracht werden. Aber was nehmen und dann nicht bezahlen ist auch nicht richtig. Das ist Stehlen, und auch der Pfarrer in der Kirche sagt, man darf nicht stehlen. Nur dass keiner Angst vor dem Pfarrer hat.«
Dieses Stück aus einem Aufsatz ist mit A. R. unterschrieben. Er wurde innerhalb eines Projekts zur Förderung von Jugendlichen ohne Abschluss geschrieben. Das Thema hieß: »Erzähle von einem Menschen, den du bewunderst«.
Das panierte Medaillon hatte eine klebrige Füllung, die undefinierbar schmeckte. Vielleicht Spinat und Käse. Ich hatte die Packung gekauft, geöffnet und weggeworfen, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Das heißt, ich habe nur »Sonderangebot« und »fertig in fünf Minuten« gelesen.
Ich gehe mit den beiden Handys nach draußen auf die Terrasse. Der Abend ist lau, und die von unten, denen auch die Mansarde gehört, in der ich wohne, essen unter der Pergola. Der Mond hat einen gespenstischen Schleier, was für morgen nichts Gutes ahnen lässt.
Ich schalte mein persönliches Handy aus und werde ein unerreichbarer Teilnehmer.
Die Unerreichbare .
So nennt mich Federico alias DJ Fede. Einer meiner aktuellen - sagen wir mal: Verehrer. Aber nicht, weil ich eine bin, die sich ziert. Bin ich nie gewesen, ehrlich nicht. Ich vergeude schon zu viel Zeit damit, mich zu fragen, was ich eigentlich wert bin, wo ich doch keinen Uniabschluss gemacht und einen Teil meiner glänzenden Zukunft schon verspielt habe. Doch was den Rest angeht, bin ich sicher, dass ich keinen Preis auszuhandeln habe. Ich habe mich immer ganz spontan entschieden. Impulsiv, unvorhersehbar, querköpfig: Man hat schon alles Mögliche über mich gesagt (und alles übertrieben, meiner Meinung nach).
Federico hat zwei präzise Gründe dafür, mich die Unerreichbare zu nennen: Erstens kennt er meinen Namen nicht. Zweitens sitzt er hinter Gittern, und es ist für ihn objektiv schwierig, mich zu erreichen. Zum Glück. Ich habe ihn nämlich mit sechstausend Pillen Ecstasy im Gepäck erwischt. Seitdem schreibt mir Federico, und er schickt mir CDs mit Techno. Dazu rezitiert er Gedichte. Eigene Gedichte. Schreckliche Gedichte. Doch der Psychologe sagt, das hilft ihm sehr, aus
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