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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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seinem Motorroller nach Hause zu bringen. Auf deren wiederholte Ablehnung reagierte er mit einem jeden Tag heftigeren Drängen …«
    Ich muss etwas essen. Mit einem Kribbeln in den Schenkeln löse ich mich vom Stuhl, mache den Kühlschrank auf und wieder zu. Zuerst will ich diesen Bericht der Carabinieri zu Ende lesen.
    »… und ging so weit, dass er auch Mitschülerinnen des Mädchens bedrohte. So ist die Situation am 15. Januar 2002. Einigen getrennt zu Protokoll genommenen Zeugenaussagen zufolge soll Loredana Chiarella Mastronero mit beleidigenden Worten beschimpft haben, unter anderem als ›Drogengeburt‹. Das soll, nach dem aktuellen Kenntnisstand, die gewalttätige Reaktion von Mastronero ausgelöst haben, die nicht spontan erfolgte, sondern zusammen mit Dritten und organisiert, wodurch Vorsätzlichkeit vorliegt.
    Laut der Aussage von Loredana Chiarella, die sie nach Überwindung des Schocks machen konnte, konkretisierte sich die besagte Reaktion in einer Entführung, geschehen am selben Nachmittag …
    … es ist nicht klar, ob Mastronero und die anderen den Vorsatz hatten, so weit zu gehen, oder ob der Widerstand des Mädchens sie zum Exzess getrieben hat …
    … Auskugelung des Handgelenks und Bruch zweier Knochen der Mittelhand, Riss einer Lendenrippe, Blutergüsse auf den Armen und Beinen, tiefe Hautabschürfungen im Gesicht und am Hals, verursacht durch Material mit Scheuerwirkung auf der Haut, wahrscheinlich Glaspapier, zumindest nach der Erinnerung des Opfers, das nach einer regulären Behandlung im Krankenhaus den Schulbesuch noch nicht wieder aufgenommen hat. Seit drei Monaten hat das Opfer faktisch das
normale Leben sozialer Beziehungen mit Gleichaltrigen aufgegeben und eine Form der Bulimie entwickelt, die eine Einweisung in die Klinik notwendig machte.«
    Ich öffne den Safe (mit Glaspapier übers Gesicht, Scheiße, wie kann man das machen?), nehme die Pistole heraus und stecke sie in die Innentasche, die ich mir eigens in meine Lieblingslederjacke habe nähen lassen, die mit dem schrägen roten Reißverschluss.
     
    Viertel nach neun.
    Ich mache weiter, und über meinen Bildschirm läuft die Mitschrift des Verhörs von Mario Crippa, genannt Marietto, besser bekannt als »Madonnino«, Capopiazza im Viertel 167, nördlich der Umgehungsstraße, Territorium der Incantalupo. Das Verhör wurde vor ungefähr anderthalb Jahren geführt.
    »Es hieß, dass die Pärchen auf den Rastplätzen der Umgehungsstraße Sache von Cocíss und seinen Leuten waren. Man braucht nichts Spezielles dazu. Man wartet, bis der Mann sich die Hosen runterzieht. Dann ist einer in der Klemme, und wenn die Frau ausgezogen ist, denkt sie vor allem daran, sich was vorzuhalten, da besteht keine Gefahr … Du kannst ihnen alles wegnehmen. Mit ihm zusammen waren Zecchetto, der um einiges älter ist, also ein Mann, und außerdem Medina, den man so nennt, weil er immer, im Sommer wie im Winter, so ein Käppchen trägt wie die Araber … Aber die wirklichen Namen von denen weiß ich nicht, die habe ich eigentlich nie gewusst.«
    Während ich den Salat aus der Tüte in eine Suppenschüssel gebe, höre ich den Summton der Mikrowelle. Ich ziehe die Schale heraus und werfe sie mit einem Schrei ins Spülbecken.
    Ich mache Platz zwischen Zeitschriften und Rechnungen und bringe Schüssel, Gläser und Besteck auf dem Schreibtisch unter.
    »… hauptsächlich war es wegen den Handys, sie zogen davon fünfzehn, zwanzig in der Woche ab, außerdem Geld
und Uhren. Zecchetto machte auch Fotos mit seinem Handy und verkaufte sie an die Jungs im Viertel … das heißt, die ersten Male schickte er sie herum, um anzugeben, später fing er dann an, sich bezahlen zu lassen, weil man vielleicht den Busen der Frau sah oder wie sie ihren Slip in der Hand hatte und ganz panisch war. Das ist der Grund, warum ich sie auf dem Handy habe, Zecchetto hat sie mir geschickt, ich habe die Sache mit den Pärchen nie gemacht, sagen wir mal, es war nicht mein Ding.«
    Die Handys. Ich habe zwei, irgendwo vergraben auf dem Schreibtisch. Auf dem einen erwarte ich die Mitteilung, wann und wo genau Daniele Mastronero, genannt Cocíss, ankommt. Mit dem anderen sollte ich meine Mutter anrufen, aber ich muss zugeben, ich bekomme schon Angst, wenn ich dieses Zeug lese.
    »Ich weiß nicht, ob Cocíss sich aufgeregt hat, weil Zecchetto diese Sache mit dem Verkaufen der Fotos heimlich machte oder weil es vielleicht gefährlich war. Also ich glaube, er hatte recht, in einem gewissen

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