Camorrista
sich die Hände an den Leinenhosen ab und schaut mich durch seine von Fingerabdrücken verschmierten Brillengläser an.
»Wir könnten ihn durch das Tor der Toten hereinbringen.«
Ich reiße die Augen auf, und er bemerkt es.
»Das ist nur das Gittertor hinten am Friedhof. Die Mönche nennen es so. Dann geht ihr durchs Kloster und kommt genau hier heraus, am Ende des Gangs, ohne alle aufzuwecken.«
Er steht auf, stützt sich dabei an die Wand. Ich sage ihm, dass mir das eine ausgezeichnete Lösung zu sein scheint.
»Aber man muss Frate Jacques um die Schlüssel und die Erlaubnis bitten. Und mit mir redet Frate Jacques seit zwei Monaten nicht mehr.«
Er erklärt mir, dass die Mönche die Einrichtung des Zentrums nicht verwunden haben. Sie sind ja nur noch zu fünft oder sechst und schaffen es nicht mehr, sich um alles zu kümmern. Er erklärt mir haarklein, dass die Räume verteilt worden sind, die Abmachungen klar: Die Mönche haben die Kirche behalten, einen Flügel des Klosters, den Kapitelsaal, den botanischen Garten und die Apotheke, während das Zentrum das allgemeine Gästehaus und jenes des Granduca, den Flügel der Laienbrüder, die alten Stallungen, das Land und das Museum bekommen hat.
»Und was für Probleme gibt es dann?«
»Das Problem ist, dass ich die Mädchen nicht daran hindern kann, sich im Badeanzug zu sonnen, zu tanzen und Musik zu hören.«
Frate Jacques ist klein, zäh und Franzose. Aus der Ariège, erklärt er mir. Ich gebe mich interessiert, aber für mich ist Frankreich das Land des Schlafes. Jede Region, jede Stadt erinnert mich nur an eines: die Sommernachmittage, wenn ich nach dem Meer im Arm meines Vaters einschlief, der sich die Tour de France ansah. Er verfolgte alle Etappen, von einem Liegestuhl aus, nachdem er den mächtigen Fernsehapparat zur Glastür Richtung Garten gedreht hatte. Er fischte Obst aus einer Plastikschale, und ich schlummerte ein, während ich seine Brusthärchen kräuselte, die weiß vom Salzwasser waren, noch nicht vom Alter. Ich war fünf Jahre alt.
Dann sechs, dann sieben, dann, mit acht Jahren, wog ich zu viel, und ihm wurde zu warm bei der Sache, und er wollte nicht mehr.
An meinem zehnten Geburtstag, im Juli, hatten wir nicht einmal mehr das Haus am Meer. Es war das Jahr, in dem mein Bruder zum ersten Mal von zu Hause weglief.
»Dies ist ein Ort der Besinnung und des Gebetes«, sagt Frate Jacques zu mir.
Neben dem Computer, auf einem kleinen halb ovalen Schreibtisch am Fenster, sehe ich die Taschenbuchausgabe der Bekenntnisse liegen.
»Ich habe an einer Examensarbeit über den heiligen Augustinus geschrieben, wissen Sie.«
»Tatsächlich?«
»Ja, über die antipelagianische Polemik.«
Wir reden eine Viertelstunde darüber, Frate Jacques ist enttäuscht, dass ich die Arbeit nicht abgeschlossen und also auch kein Examen habe. Und (noch einmal: also ) die Studien und Forschungen nicht fortgesetzt habe und (zum letzten Mal: also ) in die Arbeitswelt eingetreten bin, in einen Bereich, in dem sich allgemein wenig Philosophen finden.
»Und welcher Bereich ist das?«
»Ich bin Polizistin.«
Einen Augenblick lang sieht er mich an, als wäre ich oben
ohne in sein Büro gekommen. Ich gebe ihm nicht die Zeit, sich zu erholen.
»Hören Sie, heute Nacht müssen wir eine Überwachungsmaßnahme durchführen. Das stellt für das Zentrum natürlich eine … sagen wir … ungewöhnliche Situation dar.«
Er würde mir gern sagen, dass er das wusste, dass es klar war, dass er sich das gedacht hat. Doch er bleibt in seiner Rolle, streichelt seine Hände und tut, als bedaure er das.
»Ich möchte Sie freundlich um einige Schlüssel bitten. Ich vertraue darauf, dass die Angelegenheit unter uns bleibt, auch Padre Jacopo darf nichts davon wissen, Sie verstehen mich.«
Er ist hochzufrieden, mich zu verstehen, der kleine Franzose.
»Welche Schlüssel brauchen Sie denn?«
»Die zum Tor der Toten«, antworte ich.
Ich sehe zu, wie die drei in die schwarze Limousine mit den schlammbespritzten Kotflügeln steigen. Der Wagen steht neben dem von Holzbalken getragenen Heuschuppen. Reja am Steuer, der Psychologe hinten, der Mann in Blau ist noch mit Telefonieren beschäftigt und lehnt an der Beifahrertür. Er hat sich das Jackett ausgezogen, und zwischen den Knöpfen seines Hemds schlängelt sich das Kabel des Ohrhörers.
Er hat eine fleischige Nase und die dicken Augenbrauen eines Mannes, der mit Kopfstößen einen Berg aus dem Weg räumen könnte. Und so habe ich
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