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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas M. Disch
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ausdrückte und zugleich die Empfindungsskala von Leid zu tödlichem Schrecken durchlief. Und als sein starrer Körper diese Qual nicht länger ertragen konnte, schrie Mordecai: »Schwarz! Diese Schwärze! Alles schwarz!«
    Im nächsten Moment war alles vorbei. Sein Körper sackte im Stuhl zusammen, die verschlungenen Kabel verhinderten, daß er zu Boden fiel. Ein Arzt von der Krankenstation, der sich im Gang bereitgehalten hatte, ging zu ihm. Er gab den Befund ebenso schnell bekannt, wie Mordecai gestorben war.
    »Aber wie ist das möglich ?« schrie Haast. »Wieso ist er gestorben?«
    »Wahrscheinlich eine Embolie. Mich wundert das nicht. In seinem Zustand war die geringste Erregung gefährlich.« Der Arzt beugte sich über Mordecai, der jetzt, im Tod genauso ungefüg wie im Leben, auf dem Boden lag, und schloß ihm die weit aufgerissenen Augen.
    Auf Haasts Gesicht erschien ein ungläubiges Lächeln. »Nein! Sie lügen! Er ist nicht tot, er kann nicht tot sein! Er hat das Elixier doch auch getrunken! Er ist dem Leben wiedergegeben, er ist wiedergeboren - albiniert! Das Leben ist ewig!«
    Dr. Busk erhob sich und lachte zynisch. »Jugend! Und ewiges Leben, was? So also wirkt Ihr Verjüngungstrank!« Und nun, da sie dem Stier den Todesstoß versetzt hatte, stolzierte sie in der Überzeugung, sich die Trophäe - Ohren und Schwanz - reichlich verdient zu haben, aus der Arena.
    Haast stieß den Arzt von der Leiche weg. Seine Stimme klang anfangs wie die eines Schlafwandlers, wurde dann aber immer schriller: »Schafft ihn weg! Tragt ihn hinaus! Äschert ihn ein! Tragt ihn sofort zum Ofen und verbrennt ihn! Verbrennt ihn zu Asche! O Gott, dieser schwarze Verräter! Ich werde sterben, und es ist seine Schuld. Ich bin nicht jünger geworden - es war Betrug. Es war von Anfang an nichts als Betrug. Dieser verdammte schwarze Bastard! Gott verdamm ihn, verdamm ihn, verdamm ihn!« Und bei jedem »verdamm ihn«, versetzte er Kopf und Oberkörper der Leiche einen Tritt.
    »Beruhigen Sie sich, Sir. Denken Sie an Ihre Gesundheit!«
    Erschrocken machte Haast ein paar Schritte rückwärts. Er stolperte, hielt sich am Rednerpult fest und berührte das Buch. Langsam, aber systematisch riß er Seite um Seite heraus und warf sie auf den Boden. »Lügen«, sagte er, während er das steife Papier zerknitterte. »Lauter Lügen. Verrat. Täuschung. Lügen.«
    Seltsamerweise schienen die Gefangenen keine Notiz davon zu nehmen, daß die herbeigerufenen Wärter Mordecais Leiche auf den Wagen geworfen hatten, auf dem vorhin das Ei des Weisen hereingerollt war. Es hatte sich letzten Endes als nichts anderes entpuppt als ein gewöhnlicher Kanonenofen. Ich nahm mein Taschentuch, um das Blut von Mordecais Gesicht zu wischen, aber die Wärter hielten meinen Arm fest. Als sie mich hinausführten, riß Haast noch immer Seiten aus dem Buch, dem so tief, so tief ertränkten Buch.

    22. Juni
    Ich erwachte mitten in der Nacht, zeichnete in schläfriger Kurzschrift den Alptraum auf, aus dem ich hochgeschreckt war, sank wieder ins Bett, sehnte den Augenblick herbei, in dem der Schlaf das Denken auslöscht, lag da, ausgehöhlt und ohne Tränen, und starrte in die mitleidlose Dunkelheit. Hier ist, nach jenen Notizen rekonstruiert, mein Traum:
    Zuerst war da ein widerlich süßer Geruch, wie von faulendem Obst. Ich merkte, daß er aus dem großen Loch in der Mitte des Zimmers drang. Unter diesem Loch stand inmitten eines Haufens Sedimentgestein ein sehr dicker Mann. Er hatte eine Tonsur: ein Mönch. Seine Kutte und seine Kapuze waren weiß: ein Dominikaner.
    Er griff nach seinem Gürtelstrick und warf mir das eine Ende zu. Es war fast unmöglich, ihn heraufzuziehen. Schließlich aber saßen wir beide, schwer atmend, auf dem Rand des Loches.
    »Normalerweise kann ich natürlich schweben«, sagte er. »Oft sogar eine Elle hoch.«
    Bei aller Fettleibigkeit wirkte er seltsam unkörperlich. Fast gasförmig. Die dicken Hände glichen prall aufgeblasenen Gummihandschuhen.
    (»Louie«, sagte ich zu mir, »wenn du nicht aufpaßt, wirst du bald genauso aussehen.«)
    »Und das ist nur eines von vielen Wundern, das können Sie mir glauben. Quantam sufficit , wie Augustinus sagt. Können Sie mir keine Sitzgelegenheit anbieten?«
    »Ich fürchte, meine Stühle sind zu ... unbequem. Vielleicht das Bett?«
    »Und was zu essen. Etwas Brot, ein paar Heringe.« Mit seiner Ballonfaust probierte er die Matraze aus. »Ich soll Ihnen nur eine Botschaft überbringen. Ich werde also

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