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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas M. Disch
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nicht lange bleiben.«
    Ich drückte auf die Klingel neben der Tür. »Eine Botschaft?«
    »Eine Botschaft von Gott.« Er ließ sich auf das zerwühlte Bett nieder. Die Kapuze verbarg sein Gesicht bis auf den Teil, wo normalerweise der Mund hingehört.
    »Das wage ich zu bezweifeln«, sagte ich so höflich wie nur möglich.
    »Sie zweifeln an Gott? An seiner Existenz? Was für ein Unsinn! Natürlich glauben Sie an Gott - wie jeder andere auch. Ich persönlich habe drei verschiedene Beweise für Seine Existenz erbracht. Erstens: Wenn Er nicht existiert, wäre alles ganz anders. Oben wäre unten, rechts wäre links. Wir sehen aber, daß es nicht so ist. Ergo muß Gott existieren. Zweitens: Wenn Gott nicht existierte, säßen wir beide jetzt nicht hier und warteten auf etwas zu essen. Drittens: Wir brauchen nur auf die Uhr zu sehen, um zu erkennen, daß er existiert. Wie spät ist es?«
    »Kurz nach drei.«
    »Ach du liebe Güte, die brauchen aber sehr lang! Wollen wir Rätsel raten? Was hat die Hyperdulie mit der Pia mater zu tun?«
    »Was hat ein Rabe mit einem Schreibtisch zu tun?« murmelte ich, bereits etwas verärgert über meinen Gast. Doch er hatte entweder meine Bemerkung nicht gehört oder die Anspielung nicht verstanden.
    »Sie wissen es also nicht! Hier ist noch ein Rätsel: Einer meiner Lehrer sagte: ›lhr nennt ihn einen dummen Ochsen, aber ich sage euch, dieser Ochse wird so laut brüllen, daß die Welt davon widerhallen wird.‹ Wer bin ich?«
    »Thomas Aquinas?«
    »Der heilige Thomas Aquinas. Das hätten Sie sofort merken müssen! Sind Sie dumm?«
    »Im Vergleich mit den meisten anderen wohl nicht.«
    »Naja, aber im Vergleich mit mir? Haha! Und Gott ist sogar noch klüger als ich! Er ist das höchste aller Wesen, er ist das erste Wesen und er ist reiner Geist. Und da die Intelligenz aus dem Geist kommt, folgt daraus, so sicher wie die Nacht dem Tag folgt, daß Er das erste intelligente Wesen ist. Haben Sie Dionysius gelesen?«
    »Leider nicht.«
    »Sie sollten ihn aber lesen! Er war es, der geschrieben hat, daß die irdische Hierarchie von den reinen Geistern der himmlischen Hierarchie erleuchtet wird. Wie zum Beispiel Sie von mir. Abt Suger hielt besonders viel von Dionysius. Was habe ich eben gesagt?«
    »Wie bitte?«
    »Sie sollen wiederholen, was ich eben gesagt habe! Sie können’s nicht? Wenn Sie nicht einmal bei einfachen Dingen zuhören, wie soll ich Ihnen dann die Botschaft übermitteln?«
    Jemand klopfte an die Tür. Dann rollte der Kaffeewagen herein, aber anstatt aus matt gewordenem Chrom war er aus glänzendem Gold und reich mit Edelsteinen verziert. Drei kleine Engel, etwa im Kindergartenalter, brachten ihn herein, zwei zogen, einer schob. Es wunderte mich, daß sie nicht flogen, und mir kam der Gedanke, daß ihre kleinen Flügel vielleicht den aerodynamischen Gesetzen nicht entsprachen. (Von solchen Defekten habe ich einmal in einer populärwissenschaftlichen Zeitschrift gelesen.) Ein Engelchen nahm eine Platte mit kleinen fauligen Fischen vom Wagen, füllte ein hübsches Porzellanschälchen und reichte es dem Heiligen, der wie in Verzückung die Hände danach ausgestreckt hatte. Als der kleine Cherub an mir vorbeiging, streifte eine Flügelspitze mein Gesicht: Ich spürte nicht Federn, sondern zartes weißes Fell.
    »Wieder ein Wunder! Glauben Sie mir, jede Mahlzeit ist ein kleines Wunder. Vor allem Heringe. Ich bin an solchen wunderbaren Heringen gestorben.« Mit seinen schwabbligen Fingern ließ er drei Fische auf einmal im Schatten seiner Kapuze verschwinden. »Ein Händler mit einer ganzen Ladung Sardinen kam am Kloster vorbei. Ich bin nicht besonders scharf auf Sardinen, aber auf Heringe um so mehr! Und wissen Sie, was dann geschah? Er schaute in sein letztes Faß ...« (im Nu war noch eine Handvoll fauliger Fische verschwunden) »... und es war mit Heringen gefüllt! Wenn das kein Wunder war! Allerdings stellte sich später heraus, daß sie verdorben waren. Ich bekam die entsetzlichsten Magenkrämpfe und starb drei Tage später. Ist das nicht phantastisch? Die Geschichte meines Lebens - das wäre ein Buch! Einige Dinge würden Sie einfach nicht glauben! Allerdings würde es nur sehr wenig über ...« Er räusperte sich und reichte dem Engel die leere Schale. »... über Erfahrungen fleischlicher Natur enthalten. Denn seit meinem zwanzigsten Lebensjahr haben mich solche Anfechtungen nicht mehr geplagt. Kein einziges Mal. Meine geistige Arbeit wurde dadurch unendlich

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