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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas M. Disch
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ertönen.
    »Den Stein der Weisen ...«
    Zwei Glöckchen.
    »Den unvergleichlich kostbaren Stein, den Du vor der tellurischen Erde verborgen hast und den Du enthüllen kannst denen, die Du erwählst.«
    Drei Glöckchen - und bei ihrem feierlichen Klingklang öffneten sich die Türen, und herein rollte, auf einem kleinen batteriebetriebenen Wagen, das Ei der Weisen, das jetzt tatsächlich wie ein großer Kochtopf aussah. Vier Statisten hoben es auf die Bühne.
    Die Busk beugte sich vor und riskierte eine zynische Bemerkung: »Ein ›Ritual‹! Da ist mir eine ehrliche Zwangsneurose zehnmal lieber!« Aber ihre bemühte Ironie verriet, daß der seltsame Auftritt des Bischofs sogar auf sie gewirkt hatte -ja vielleicht gerade auf sie.
    Vom Zigarettenqualm halb betäubt und von Bauchschmerzen gequält, ertappte ich mich dabei, daß ich, anstatt dem Gebet des Bischofs zuzuhören, auf das ›Ei‹ starrte, das jetzt direkt vor mir auf der Bühne aufgebrochen wurde. Erst danach drangen die monotonen Beschwörungen des Bischofs nicht mehr als gedämpfte lateinische Geräuschkulisse, sondern wieder als theatralischer Humbug in mein Bewußtsein.
    »... und so wie Dein eingeborener Sohn zugleich Gott und Mensch ist; wie Er, geboren ohne Sünde und dem Tod nicht Untertan, freiwillig gestorben ist, auf daß wir uns, befreit von Sünde, in Seiner Gegenwart des ewigen Lebens erfreuen können; wie er am dritten Tage siegreich auferstanden ist: so ist auch Carnot, das Gold der Weisen, ohne Sünde, unwandelbar und strahlend, unsterblich und dennoch bereit, für seine kranken und unvollkommenen Brüder zu sterben. Carnot, siegreich auferstanden, erlöst und verwandelt sie zum ewigen Leben und verleiht ihnen die vollkommene Wesenseinheit des reinen Goldes. Und so erflehen wir im Namen Jesu Christi von Dir dieses Brot der Engel, diesen geheimnisvollen Grundstein des Himmels, der für alle Ewigkeit gelegt worden ist, um mit dir zu herrschen und zu regieren, denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.«
    Sogar Dr. Busk stimmte in das ›Amen‹ ein.
    Der Bischof übergab seinen Krummstab einem Statisten, ging auf das geöffnete Ei zu und nahm die Tonflasche heraus, die vierzig Tage und Nächte der Gluthitze ausgesetzt war. Gleichzeitig wurden alle Lampen ausgeschaltet; nur aus dem teleskopähnlichen Gerät, das mir schon am Nachmittag aufgefallen war, drang ein Lichtschein. (Wie ich später erfuhr, soll es sich um Licht vom Sirius gehandelt haben, das man in einem nicht näher bezeichneten Verfahren abgeleitet hatte.) Der Bischof goß den trüben Inhalt der Flasche in einen Kelch und hob diesen, randvoll, ins reine Licht des Sirius. Jetzt begingen die Gefangenen auf und neben der Bühne eine himmelschreiende Geschmacklosigkeit: Sie begannen, Aquinas’ Eucharistische Hymne zu singen:

    O esca viatorum,
    O panis angelorum,
    O manna caelitum.

    Auf dem Höhepunkt dieser imitierten Zeremonie hielt der Bischof zuerst Haast, dann Mordecai den Kelch an die Lippen. Von Kabeln förmlich eingewickelt, konnten sie sich kaum vorbeugen. Während sie tranken, rezitierte der Bischof seine schauderhafte Übersetzung der knappen lateinischen Verse:
    »O Nahrung der Wanderer! Brot der Engel! Manna, von dem der ganze Himmel ißt! Komm herbei und sättige mit deiner Süße das Herz, das ewig nach dir hungert.«
    Jetzt verschwand auch jener letzte Lichtschein, und in dem Dunst, der schwer im Raum hing, warteten wir auf das Fiasko, das wohl sogar die Optimistischsten und Unrealistischsten unter uns für unabwendbar hielten.
    Dann zerbarst die Stille und eine Stimme (Haasts Stimme, wenngleich seltsam verändert) schrie: »Macht das Licht an! Licht! Es funktioniert, ich spür’s - ich spüre die Verwandlung!«
    Die Scheinwerfer leuchteten auf. Als meine Augen sich an das grelle Licht gewöhnt hatten, sah ich Haast in der Mitte der Bühne stehen. Er hatte sich die Drahtkrone vom Kopf gerissen. Blut rann ihm von den Schläfen übers schwitzende, gebräunte Gesicht, das im Scheinwerferlicht glänzte wie mit Butter bestrichener Toast. Am ganzen Körper zitternd, breitete er die Arme aus und rief exaltiert: »Schaut her, ihr Hundesöhne! Schaut her - ich bin wieder jung! Mein Körper ist springlebendig! Schaut her!«
    Aber wir blickten nicht auf Haast, sondern auf Mordecai. Er hatte sich bisher nicht bewegt, jetzt aber hob er furchtbar langsam die rechte Hand in Augenhöhe. Er gab einen Laut von sich, der abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit

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