Camp Concentration
Fahrspur, schaltete wieder auf Handsteuerung und bog in den Passaic Boulevard ein. Mohammeds Eisbar lag in einer schmalen Seitenstraße, am obersten Punkt einer kurzen, steilen Steigung. Skilliman kannte den Laden aus seiner Kindheit; er gehörte zu den wenigen, die sich in den letzten dreißig Jahren unverändert erhalten hatten, wenn auch manchmal, aufgrund der Warenknappheit, das Eis nicht mehr ganz so hervorragend war.
»Nehmen wir das Baby mit?« fragte sie.
»Nein, es fühlt sich hier wohler«, sagte Skilliman.
»Wir sind ja auch gleich zurück«, sagte sie.
Seufzend hievte sie sich aus dem Wagen. Sie legte die Hand auf ihren dicken Bauch.
»Es bewegt sich«, flüsterte sie.
»Wird nicht mehr lang dauern«, sagte er. »Mach die Tür zu, Mina!«
Sie machte die Tür zu. Er sah auf die Handbremse und dann auf Billyboy, der zufrieden das kleine orangefarbene Plastiklenkrad betrachtete, das sein Autostühlchen zierte.
»Bis gleich, Schnucki«, flüsterte Skilliman seinem Sohn zu.
Als sie gerade die Glastür des Ladens geöffnet hatten, schrie der Mann hinter der Theke: »Ist das Ihr Wagen? Ihr Wagen, Sir!« Ein Küchentuch aufgeregt schwenkend, deutete er auf den rollenden Mercury.
»Was ist los?« Skilliman tat, als wüßte er es nicht.
»Ihr Mercury!« schrie der Mann.
Der rote Mercury rollte im Leerlauf die schmale Seitenstraße hinunter und landete auf dem verkehrsreichen Passaic Boulevard. Ein Dodge rammte den rechten vorderen Kotflügel und schob sich über die Kühlerhaube. Ein Corvair, der hinter dem Dodge gefahren war, scherte nach links aus, krachte auf das Heck des Mercury und drückte es wie eine Ziehharmonika zusammen.
Vor der Eisbar sagte Skilliman zu seiner Frau: »Ungefähr das habe ich gemeint.«
»Ich versteh nicht.«
»Als ich von der Lösung des Problems sprach.«
Ende
26.
Immer wieder läuft alles auf die eine, unweigerliche Tatsache hinaus: die Tatsache des Todes. Wenn die Zeit doch kein so flüssiges Element wäre! Dann könnte man sie mit dem Verstand festhalten und zum Stillstand zwingen. Dann müßte der Engel seine ewigen Züge enthüllen!
Aber mitten in solchen faustischen Momenten überwältigen mich die Schmerzen, und ich wünsche mir nur noch, die Zeit möge noch rascher verstreichen. Und so geht’s weiter, ein Hasten hin und her, auf und ab, von heiß zu kalt, und dann wieder der Rückschlag.
Ich weiß nicht, wie viele Tage oder Stunden vergangen sind, seit ich die kleine Geschichte für Haast geschrieben habe. Ich liege noch in der Krankenstation. Ich bin noch sehr krank.
27.
Kurz nachdem ich die Geschichte über Skilliman beendet hatte, wurde es am schlimmsten. Ich hatte einen leichten Anfall, in dessen Verlauf ich plötzlich nichts mehr sehen konnte, wohl eine Folge meiner Hysterie.
Ich habe mir immer vorgestellt, daß ich, falls ich erblinden würde, Selbstmord begehen müßte. Wovon, wenn nicht vom Licht, soll sich der Geist nähren? Musik ist bestenfalls eine Art Suppe für Ästheten. Ich bin kein Milton und kein Joyce. Wie Youngerman einmal ›gedichtet‹ hat:
Das Auge ist mächtiger als das Ohr;
das Auge kann sehen, das dumme Ohr
kommt sich, nur weils hören kann, wichtig vor.
Dazu möchte ich, mit einem Hoffnungsschimmer, folgendes beisteuern:
Doch einer, der das Augenlicht verlor,
wird anders denken über seine Ohren.
Mir scheint, mein Freund, daß du nicht weißt,
wie seltsam es steht um den menschlichen Geist.
Ich bin zu krank zum Denken, zu krank, um irgend etwas zu tun. Ich glaube zu spüren, daß jeder Gedanke die Nähte meines schmerzenden Gehirns zu sprengen droht. Vielleicht sollten sie mir den Schädel aufbohren!
28.
Der Haufen von Haast-Mitteilungen auf meinem Nachttisch ist wirklich imponierend! Entschuldigen Sie, H. H., daß ich das jetzt nicht lesen möchte.
Ich verbringe die Zeit damit, den Wasserkrug oder die Webfäden der Bettwäsche anzustarren und mich nach Sonnenlicht zu sehnen.
Oh, die gespannten Sinne des auf Genesung Hoffenden!
29.
Haast hatte viele Einwände gegen Skilliman oder Die Bevölkerungsexplosion. Vor allem wirft er mir verleumderische Absicht vor. H. H. hat tatsächlich die Mentalität eines Verlegers! Daß die Geschichte einige Wahrheiten enthält (Skilliman hat ein deutsches Schulmädchen namens Mina geheiratet; ihre Mutter lebt in Dachau; er hat vier Kinder), macht in Haasts Augen meinen Vorstoß nur noch gravierender.
(»Gravierender ...?« wiederholt Haast unsicher.)
Verehrter
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