Camping-Daggys letzter Kunde ROTE LATERNE ROMAN Band Nr. 4 (German Edition)
das nicht beherrschen, wird man Ihnen das beibringen. Ich habe eine vorzügliche Lehrerin ausgesucht, die Ihnen die notwendigen Umgangsformen lernen wird. Ich traue es Ihrer Intelligenz ohne Weiteres zu, diese Aufgabe zu meistern.«
Er sprach mit der Ruhe der Selbstverständlichkeit und sah Daggy offen an. Doch das Mädchen war so verwirrt, dass es im Augenblick nicht begreifen konnte, worum es sich handelt.
»Weshalb gerade ich?«, fragte Daggy etwas hilflos. »Es gibt hervorragende Schauspielerinnen. Darunter auch etliche, die besser aussehen als ich, und auch ...«
»Es gibt aber keine, die so aussieht, wie meine Frau, Mademoiselle Daggy!« unterbrach Claude ernst. Dann stand er auf und ging ins Haus. Als er nach einiger Zeit zurückkehrte, hielten seine Hände ein Foto. Sie trugen es so vorsichtig, als könnten sie etwas außerordentlich Zartes und Kostbares zerstören.
»Das ist meine Frau.«
Behutsam nahm die Dirne das Bild.
»Nein!« Es war ein leiser Aufschrei, in dem sich tiefes Erschrecken ausdrückte. Ja, namenloses Entsetzen. Die hübsche Frau, die ihr lächelnd entgegenblickte, war sie selbst! Dieses Foto war ihr eigenes Spiegelbild. Es war unglaublich!
»Das bin ja ich!«, stammelte Daggy entsetzt und hilflos zugleich.
»Nein«, erwiderte Monsieur de Ravelle ruhig. »Das ist meine Frau Beatrix!«
Eine verhaltene Traurigkeit lag in diesen Worten. »Ich will es besser ausdrücken, Mademoiselle. Das war meine Frau Beatrix!«
»Sie - sie ist - tot?«,
Claude schüttelte langsam den Kopf.
»Nein, Daggy«, antwortete er, wobei er sie zum erstenmal nur mit ihrem Vornamen ansprach. »Meine Frau lebt. Jedenfalls für die Welt. Aber ...«
»Sie müssen mir alles erklären, Monsieur!« sagte Daggy fast ein wenig scharf. »Ich fürchte, dass ich sonst diese Rolle nicht spielen kann und Ihr Angebot ablehnen muss. Sie können sicher sein, dass ich schweigen werde – wie ich es bisher immer getan habe. Ich beginne zu verstehen, weshalb Sie gerade mich gewählt haben. Doch muss ich erfahren, was mit Ihrer Frau geschehen ist!«
Er wandte sich ab, so dass sie nur noch sein Profil sehen konnte. Es war ein sehr markantes, männliches Profil, das Daggy sehr anrührte und innerlich aufwühlte. Sie verstand sich in diesen Augenblicken selbst nicht mehr.
Gleich darauf traf sie ein Blick, in dem sich Hoffnungslosigkeit und Trauer verbargen.
»Ihre Frau ist krank?«, fragte Daggy.
Claude nickte. Er setzte sich wieder.
»Ja, Beatrix ist sehr krank«, erklärte er mit seiner ruhigen Stimme. »Diese Aufnahme wurde vor zwei Jahren gemacht. Ich besitze eine ganze Reihe von Modehäusern in Frankreich. Beatrix jedoch kümmerte sich nicht viel um die Geschäfte. Sie trat nur selten in Erscheinung, wenn es sich um öffentliche Empfänge handelte. Sie bevorzugte es, das Geld anonym auszugeben. Unter verschiedenen Namen reiste sie in der Welt herum. Ich liebte Beatrix sehr, deshalb schwieg ich. Beatrix hatte auch Liebesaffären, die ich hinnahm. Ich konnte nicht anders. Ich war blind vor Liebe. Dann geschah es. Es war vor knapp zwei Jahren in Mexico-City ...«
Er unterbrach sich wieder, fuhr sich wie erschöpft mit dem Handrücken über die feuchte Stirn und rief schließlich nach Jean. Der Diener brachte noch einen Drink und verschwand dann lautlos.
»Beatrix hat mit den Männern gespielt«, begann Claude von Neuem. »Ich habe immer geahnt, dass es nicht gutgehen konnte. In Acapulco hat Beatrix mit einem amerikanischen Playboy geflirtet, dessen Namen ich nicht nennen möchte, da er zur Sache nichts beiträgt. Dieser Mann konnte es nicht überwinden, als Beatrix ihn -wie viele Männer vor ihm auch - verließ. Am Tag der Abreise, als Beatrix ins Taxi steigen wollte, schüttete dieser Mann ihr Salzsäure ins Gesicht ...«
»O nein!« stammelte Daggy. Claude nickte.
»Es dauerte alles viel zu lange«, fuhr er fort. »Als Beatrix endlich ins Krankenhaus gebracht wurde, hatte sie ihr Gesicht verloren. Von dem, was Sie auf diesem Foto sehen, ist nichts mehr geblieben. Beatrix ist heute blind und einsam!«
Dagmars Augen schwammen in Tränen. Sie wusste nicht, was sie ausgelöst hatte, - ob es Mitleid mit ihm war, oder ob es das Schicksal dieser unbekannten Frau war, die ihr so ähnlich gesehen hatte, dass man sie beide kaum hätte unterscheiden können.
»Wo - wo lebt Ihre Frau?«, würgte Daggy schließlich hervor.
»Hier!« antwortete Claude de Ravelle ruhig. »Sie lebt hier im Haus. Sehen Sie den Turm dort
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