Camping-Daggys letzter Kunde ROTE LATERNE ROMAN Band Nr. 4 (German Edition)
Stille, die im Haus lastete, war erdrückend. Am frühen Nachmittag kamen noch einmal Herren von der Kriminalpolizei und stellten Fragen über Louis Montanelles Tod. Fragen, die ja nur Yvonne beantworten konnte. Sie tat es mit weltgewandter Gelassenheit, als hätte sie nie etwas anderes getan als derartige streng gestellte Fragen zu beantworten.
Daggy blieb verschont. Sie hatte sich kurz nach dem Mittagessen in ihren Wohnwagen zurückgezogen, auf das breite Bett gelegt und war kurz darauf eingeschlafen. Der weiche Dagobert kuschelte sich in den Arm seiner Herrin, als würde er spüren, dass Daggy zur Zeit nicht sehr glücklich und zufrieden war - nicht mit sich selbst und auch nicht mit der Welt, in der sie leben musste.
Kurz vor halb vier Uhr klopfte Yvonne ziemlich heftig an die kleinen, mit bunten Gardinen verhangenen Fenster. Dagobert fuhr hoch und machte seinen obligatorischen Buckel.
»Daggy, Cherie, denk bitte an die Verabredung um vier!«
»Ja, Yvonne, ich komme gleich rüber und mache mich fertig!«, rief Daggy zurück. Daraufhin suchte sie die schmalen, eingebauten Schränke durch. Sie fand eine blonde Perücke, die sie früher einmal getragen hatte, weil manche Männer das besonders liebten. Derartige Sonderwünsche hatte das Mädchen Daggy immer gern erfüllt. Es machte ihr Spaß, bisweilen eine ganz andere zu sein. Sie fand unauffällige Kleidungsstücke und eine große Sonnenbrille. Das alles packte sie in eine Tasche und trug es zum Haus.
Ungesehen gelang es ihr, ins Badezimmer zu schlüpfen. Dort machte sie sich rasch zurecht. Zufrieden betrachtete sie wenig später ihr Werk. So würde sie keiner erkennen.
Dass Daggy sich nicht getäuscht hatte, zeigte sich schon wenige Augenblicke später. Sie verließ das Badezimmer. Auf dem Weg nach unten kam ihr Yvonne entgegen.
»He, Sie! Was suchen Sie hier?«, rief Madame erschrocken und verblüfft. Da konnte Daggy nicht anders. Sie brach in schallendes Lachen aus und bückte die Wirtin ohne die mächtige Sonnenbrille an.
»Ja - aber - ja, das bist ja du, Daggy?«,
»Der Heilige Geist ist es jedenfalls nicht, meine Beste!«, erwiderte Daggy trocken.
»Aber dieser Aufzug, was hat das zu bedeuten?«
»Ganz einfach«, entgegnete die Dirne. »Es ist eine Bedingung von Monsieur de ....«
»Keine Namen, Daggy!«
»Ach ja richtig, Yvonne«, erinnerte sich Daggy. Dann lachte sie. »Ausgerechnet du musst mich an Diskretion ...«
»Schon gut, Cherie, ich wollte natürlich nicht ... Ach ich meine, du solltest es eben nie vergessen. Vor allem nicht bei einer derartigen Chance.«
Daggy ging nach unten.
»Ich habe nicht mehr viel Zeit, Yvonne«, sagte sie hastig, denn sie wollte sich nicht auf lange Diskussionen einlassen, von denen sie wusste, dass sie oft ins Unendliche gingen. »Wann ich zurück bin, weiß ich noch nicht. Es wird mir schon nichts passieren. Vielleicht habe ich die Rolle heute schon gespielt. Wir werden sehen, Adieu, ma Cherie!«
Daggy wirbelte davon. Man konnte sie in ein aschgraues Gewand stecken und sie hässlich machen, im Grunde würde dieses Mädchen doch immer Daggy bleiben.
Madame sah dem Mädchen seufzend nach. Dann ging sie ins Haus zurück, telefonierte mit der Polizei und erfuhr, dass Jeanne dem Untersuchungsrichter vorgeführt und daraufhin entlassen worden war. Hoffentlich kehrte das Mädchen in die Bar zurück, denn Yvonne musste Geld verdienen. Sie war auf die Bar angewiesen, und deshalb musste sie gut besucht sein. Das wiederum war aber ohne Mädchen nicht möglich. Es war ein Kreislauf ohne Ende, wie ihn das Leben täglich bietet.
Daggy ging nochmals kurz durch den Wohnwagen und sicherte Türen und Fenster. Vorher hatte sie Dagobert ein paar Trostworte in die Ohren geflüstert, wie sie das immer zu tun pflegte, wenn sie fortging.
Daraufhin machte sie sich auf den Weg zum Tor an der Straße. Dieses Tor wurde selten benutzt. Es klemmte ein wenig, als Daggy es zu öffnen versuchte. Dann aber schaffte sie es.
Es war fünf Minuten vor vier Uhr nachmittags, als sie am Straßenrand stand und in Richtung Cannes blickte, aus der sie das Auto vermutete. Warten machte Daggy immer nervös. Sie sah auf die Uhr und stellte fest, wie endlos fünf winzige Minuten sein konnten.
Daggy erinnerte sich an Monsieur und dessen Auftreten. Dementsprechend würde wohl auch der Wagen sein, mit dem man sie abholte. Immer nervöser schaute Daggy auf die Uhr. Der Minutenzeiger stand kurz vor der Zwölf. Es war zum Verrücktwerden ...
Aus der
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