Camping-Daggys letzter Kunde ROTE LATERNE ROMAN Band Nr. 4 (German Edition)
entgegengesetzten Richtung näherte sich ein unscheinbarer, grauer Kleinwagen, dem Daggy keinerlei Aufmerksamkeit schenkte. Um so größer war ihre Überraschung, als diese kleine graue Maus plötzlich neben Daggy hielt.
»Mademoiselle Daggy?«
»Oui, Monsieur!«, sagte Daggy erstaunt. »Aber ich habe heute leider keine Zeit für Sie. Ich werde abgeholt. Vielleicht morgen, Monsieur. Es tut mir sehr leid, aber ich ...«
»Ich heiße Jean, und ich habe den Auftrag, Sie zu Monsieur zu bringen!«, unterbrach der Mann ihren Redefluss. »Bitte, haben Sie die Güte einzusteigen. Aber bitte rasch, Mademoiselle. Ich habe den Auftrag, ohne Aufenthalt weiterzufahren!«
Daggy gehorchte, obwohl ihr nicht sehr angenehm war. Sie fürchtete sich ein wenig von diesem finster erscheinenden Mann, der sie merkwürdig anblickte. Hatte die Sache wirklich nichts mit Montanelle und Rouche zu tun? Vielleicht war dieser Mann der gesuchte Jean Rouche? Oder er handelt im Auftrag des Gesuchten?
Daggys Hand fuhr zum Hals, als säße dort ein unbestimmtes, würgendes Gefühl, das sich nicht ohne Weiteres beseitigen ließ. Das Mädchen aus dem Campingwagen sah den Mann ängstlich von der Seite her an. Dieser schob ungerührt seine Baskenmütze in die Stirn, schaute weder nach rechts noch nach links, sondern fuhr in Richtung Cannes weiter.
»Wohin bringen Sie mich?«
Schweigen!
»Bitte, Monsieur, ich möchte gerne wissen, wohin Sie mich bringen und ...«
»Ich beantworte keinerlei Fragen Mademoiselle«, bekam Daggy zur
Antwort. Dann erinnerte sie sich an die Worte des sonderbaren Mannes, den Yvonne als Claude de Ravelle bezeichnet hatte. Er hatte ihr doch gesagt, dass der Chauffeur keine Fragen beantworten würde, dass es zwecklos sei, ihm diese zu stellen.
Trotz der Ängste, die Daggy erfüllten, versuchte sie, sich zu beherrschen. Es gelang ihr gut; und sie verstand es, sich auf die Fahrt zu konzentrieren. Zunächst rollte der Kleinwagen über weites Land zu den Hügeln von Cannes hinüber.
Diese Fahrt wurde für Daggy zu einem einmaligen Erlebnis. Man sah den Häusern an, welche Menschen in ihnen wohnten. Gärten, so schön wie das Paradies und Häuser, von denen ein Mensch nur träumen kann. Und über allem dieser strahlend blaue Himmel, der die Bilder verschönte und in einem neuen Licht erstrahlen ließ. Herrliche Palmen standen an diesen weiten Hängen, hinter schneeweißen Mauern und vor gebogenen Terrassen.
Höher und höher schraubte sich der Kleinwagen zu den Hügeln von Cannes empor. Dennoch vermochten all diese schönen Eindrücke nicht das Bild von einem Gangsterkönig zu verdrängen, das in den letzten bewegten Stunden in Daggy entstanden war. Man hörte ja nicht selten, dass gerade die Menschen, die die Fäden der Untergrundorganisationen in ihren Händen hielten, in sehr teuren und luxuriösen Häusern lebten und oft ein ziemlich zurückgezogenes Leben führten.
Und der Chauffeur schwieg. Er stellte keine Fragen, denen Daggy hätte antworten müssen. Er kutschierte das Mädchen sicher durch die Straßen. Schließlich rollte das graue Auto in ein kurzes Waldstück. Der Weg wurde einsamer, denn beidseits standen kaum noch Häuser. Dann fuhr der Wagen an ein hohes, eisernes Tor, das sich wie auf ein geheimes Zeichen hin selbst öffnete, und der Wagen fuhr weiter. Daggy schaute zurück. Sie sah, wie sich die Tore wieder zuschoben. Sie gewann den Eindruck, in einen goldenen Käfig zu fahren, aus dem es möglicherweise nie wieder ein Entrinnen geben würde.
Die Anlagen zu beiden Seiten der gepflegten Parkstraße waren von gärtnerischer Hand liebevoll angelegt und gehegt. Ganz am Ende der Straße konnte man ein weißes Haus erkennen. Es lag noch sehr fern, schien aber unaufhaltsam näherzukommen.
Dagmar riß die Augen auf. So ein Haus hatte sie noch nie gesehen! Es war wohl um die Jahrhundertwende im südfranzösischen Stil erbaut worden, und man sah diesem Haus schon von außen an, dass es sehr geräumig war. Eine Unmenge von bogenförmigen Fenstern, viele Erker und zwei mächtige, schneeweiße Rundtürme prägten dieses schlossähnliche Gebäude. Die beiden geschwungenen Freitreppen führten zu dem großen eichenen Eingangsportal, über dem ein steinernes Wappen eingemeißelt war.
Ein großes Rondell vor der Villa war mit Rosen bepflanzt, die ihre ganze herrliche Sommerpracht boten. In der Mitte des Rondells stand ein Brunnen. Eine Nymphe hielt einen Krug, so schräg, dass ihm ständig klares Wasser entsprudelte. Das
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