Camus, Albert
der Menschen besänftigt. Der von der Liebe betrogene Liebende kann nun um griechische Koren wandern, um dessen habhaft zu werden, was im Körper und Antlitz der Frau jede Herabwürdigung überlebt.
Auch das Prinzip der Malerei besteht in einer Auswahl. «Das Genie ist nur die Gabe, zu verallgemeinern und auszuwählen», schreibt Delacroix, über seine Kunst reflektierend. Der Maler isoliert seinen Gegenstand: erster Schritt, ihn zu vereinheitlichen. Die Landschaften verflüchtigen sich, verschwinden aus der Erinnerung oder lösen sich gegenseitig auf. Aus diesem Grund isoliert der Landschafts- oder Stilllebenmaler im Raum und in der Zeit, was normalerweise sich mit dem Licht wandelt, sich in einer unendlichen Perspektive verliert oder unter dem Andrang anderer Tonwerte verschwindet. Die erste Handlung des Landschaftsmalers ist,seine Leinwand einzurahmen. Er scheidet ebenso viel aus, wie er auswählt. Der Maler schreitet also zu einer Fixierung. Große Schöpfer sind die, welche wie Piero della Francesca den Eindruck hervorrufen, die Fixierung habe eben erst stattgefunden, der Projektionsapparat sei eben stillgestanden. Alle ihre Gestalten machen dann den Eindruck, sie seien durch das Wunder der Kunst weiterhin lebendig, hätten aber aufgehört, vergänglich zu sein. Lange nach seinem Tod sinnt Rembrandts Philosoph immer noch zwischen Schatten und Licht über dieselbe Frage.
«Eine nichtige Sache, die Malerei, die uns gefällt wegen der Ähnlichkeit der Dinge, die uns nicht gefallen könnten.» Delacroix, der das berühmte Wort Pascals zitiert, schreibt mit Recht ‹sonderbar› statt ‹nichtig›. Diese Gegenstände können uns nicht gefallen, da wir sie nicht sehen; sie sind begraben und geleugnet in einem ewigen Werden. Wer betrachtete die Hände des Henkersknechts während der Geißelung, die Olivenbäume auf dem Kreuzweg. Nun sind sie miteins dargestellt, der unaufhörlichen Bewegung der Passion entrissen, und der Schmerz Christi, eingefangen in diesen Bildern von Gewalt und Schönheit, schreit aufs Neue jeden Tag in den kalten Sälen der Museen. Der Stil eines Malers liegt in dieser Verbindung von Natur und Geschichte, in dieser dem Kommenden auferlegten Gegenwart. Die Kunst verwirklicht ohne sichtbare Anstrengung die Versöhnung des Besonderen mit dem Allgemeinen, an die Hegel dachte. Vielleicht ist das der Grund, weshalb einheitstrunkene Zeiten, wie die unsrige, sich der primitiven Kunst zuwenden, in der die Stilisierung am heftigsten ist, die Einheit am aufreizendsten. Die stärkste Stilisierung findet sich immer am Anfang und am Ende künstlerischer Epochen; sie erklärt die Kraft der Verneinung und der Übertragung, welche die ganze moderne Malerei ungestüm zum Sein und zur Einheit riss. Van Goghsherrliche Klage ist der stolze und verzweifelte Schrei aller Künstler: «Ich kann wohl im Leben und auch in der Malerei ohne Gott auskommen. Aber ich, der Leidende, kann nicht ohne etwas auskommen, das größer ist als ich, das mein Leben, meine Schöpferkraft ist.»
Doch die Revolte des Künstlers gegen das Wirkliche, die nun der totalitären Revolution verdächtig wird, enthält die gleiche Behauptung wie die spontane Revolte des Unterdrückten. Der revolutionäre Geist, entstanden aus der völligen Verneinung, spürte instinktiv, dass es in der Kunst außer Abweisung auch Zustimmung gab, dass die Kontemplation die Tat, die Schönheit die Ungerechtigkeit abzuwägen drohte, und dass in einigen Fällen die Schönheit an sich eine Ungerechtigkeit ohne Appell war. Daher kann keine Kunst von einer völligen Verwerfung leben. Wie jeder Gedanke, allen voran derjenige der Nicht-Bedeutung, etwas bedeutet, gibt es keine Kunst der Sinnlosigkeit. Der Mensch kann sich erlauben, die völlige Ungerechtigkeit der Welt anzuprangern und eine totale Gerechtigkeit zu fordern, die er allein erschaffen wird, aber er kann der Welt nicht völlige Hässlichkeit zusprechen. Um die Schönheit zu schaffen, muss er das Wirkliche zurückweisen und gleichzeitig einige ihrer Seiten verherrlichen. Die Kunst bestreitet das Wirkliche, aber sie entzieht sich ihm nicht. Nietzsche konnte jede Transzendenz, die moralische oder göttliche, mit der Bemerkung abweisen, sie treibe zu Verleumdung dieser Welt und des Lebens an. Aber es gibt vielleicht eine lebendige Transzendenz, die die Schönheit verheißt, welche diese sterbliche und begrenzte Welt lieben und jeder andern vorziehen lässt. Die Kunst führt uns so zu den Ursprüngen der Revolte,
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