Camus, Albert
unnachsichtlich, denn sie verkörpert ihre eigentliche Niederlage und zwingt sie, auf ihre Prinzipien zu verzichten. Im Jahre 1950 und bis auf weiteres hängt das Schicksal der Welt nicht, wie es den Anschein hat, vom Kampf zwischen der bürgerlichen und der revolutionären Revolution ab; beider Ziele werden die gleichen sein. Dieser spielt sich vielmehr zwischen den Kräften der Revolte und denen der cäsarischen Revolution ab. Die triumphierende Revolution muss mit ihrer Polizei, ihren Prozessen und ihren Exkommunikationen beweisen, dass es keine menschliche Natur gibt. Die gedemütigte Revolte muss durch ihre Widersprüche, ihre Leiden, ihre wiederholten Niederlagen und ihren unablässigen Stolz dieser Natur ihren Gehalt von Schmerz und Hoffnung geben.
«Ich rebelliere, also sind wir», sagte der Sklave. Die metaphysische Revolte fügt dann das ‹Wir sind allein› hinzu, von dem wir noch heute leben. Aber wenn wir allein sind unter einem leeren Himmel, wenn wir für immer sterben müssen, wie können wir da wirklich sein? Die metaphysische Revolte versuchte dann, das Sein abzuleiten aus dem Erscheinen. Worauf das rein geschichtliche Denken sagte: Sein ist Tun. Wir waren nicht, aber wir mussten mit allen Mitteln sein. Unsere Revolution ist ein Versuch, ein neues Sein zu erobern,durch das Tun, außerhalb jedes Moralgesetzes. Aus diesem Grund verurteilt sie sich dazu, nur für die Geschichte und im Terror zu leben. Der Mensch ist nach ihrer Ansicht nichts, wenn er nicht durch die Geschichte, freiwillig oder gezwungen, die einmütige Zustimmung erhält. Genau an diesem Punkt ist die Grenze überschritten, die Revolte zuerst verraten und dann logischerweise erstickt, denn sie hat immer in ihrer reinsten Bewegung nur das Bestehen gerade einer Grenze bestätigt und die Tatsache, dass wir geteilte Wesen sind: Sie ist in ihrem Beginn nicht die totale Verneinung alles Seins. Im Gegenteil, sie sagt gleichzeitig ja und nein, sie verwirft einen Teil der Existenz im Namen eines andern, den sie verherrlicht; je größer diese Verherrlichung ist, desto unerbittlicher ist die Verwerfung. Wenn darauf die Revolte in Taumel und Wut übergeht zum ‹Alles oder nichts›, zur Verneinung von allem Sein und jeder menschlichen Natur, verleugnet sie sich an dieser Stelle. Nur die totale Verneinung rechtfertigt den Plan einer zu erobernden Totalität. Aber die Bejahung einer Grenze, einer Würde und einer den Menschen gemeinsamen Schönheit zieht nur die Notwendigkeit nach sich, diesen Wert auf alle und alles auszudehnen und auf die Einheit zuzugehen, ohne die Ursprünge zu verleugnen. In diesem Sinn rechtfertigt die Revolte in ihrer ursprünglichen Echtheit kein rein geschichtliches Denken. Die Forderung der Revolte ist die Einheit, die Forderung der geschichtlichen Revolution die Totalität. Die Erstere geht von einem Nein aus, das sich auf ein Ja stützt, die Letztere von der absoluten Verneinung und verurteilt sich zu jeder Knechtschaft, um ein Ja hervorzubringen, das an die Grenze der Zeiten hinausgeschoben ist. Die eine ist schöpferisch, die andere nihilistisch. Erstere ist dem Erschaffen geweiht, um immer mehr zu sein, Letztere ist gezwungen zu produzieren, um immer besser verneinen zu können. Die geschichtlicheRevolution ist genötigt, immer zu handeln in der stets enttäuschten Hoffnung, eines Tages zu sein. Selbst die einhellige Zustimmung wird nicht genügen, das Sein zu erschaffen. «Gehorcht», sagte Friedrich der Große seinen Untertanen, aber als er starb: «Ich bin es müde, über Knechte zu regieren.» Um diesem absurden Schicksal zu entgehen, ist die Revolution und wird sie dazu verurteilt sein, auf ihre eigenen Prinzipien: den Nihilismus und den rein geschichtlichen Wert, zu verzichten, um die schöpferische Quelle der Revolte wiederzufinden. Um schöpferisch zu sein, kann die Revolution auf ein moralisches oder metaphysisches Gesetz nicht verzichten, das das geschichtliche Delirium ausgleicht. Sie hat zweifellos nur eine berechtigte Verachtung für die formale und mystifizierende Moral übrig, die sie in der bürgerlichen Gesellschaft findet. Aber ihr Wahnwitz war, diese Verachtung auf jede moralische Forderung auszudehnen. An ihrem Ursprung und in ihrem tiefsten Antrieb findet sich ein Gesetz, das nicht formal ist und ihr dennoch als Führer dienen kann. Die Revolte sagt ihr in der Tat und wird es ihr immer lauter sagen, dass man zu handeln versuchen muss, nicht um zu beginnen, eines Tages in den Augen einer auf
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