Camus, Albert
rosenroten Romane, ‹Paul et Virginie› 100 , ein wirklich bemühendes Buch, bietet nichts Tröstliches.
Der Widerspruch liegt darin, dass der Mensch die Welt, wie sie ist, zurückweist, ohne aus ihr entfliehen zu wollen. In Wirklichkeit hängen die Menschen an der Welt, ihre große Mehrheit wünscht nicht, sie zu verlassen. Weit entfernt davon, sie immer zu vergessen, leiden sie im Gegenteil daran, sie nicht genug zu besitzen; sonderbare Weltbürger, Verbanntein ihrer eigenen Heimat. Außer in strahlenden Momenten der Fülle ist jede Wirklichkeit für sie unvollendet. Ihre Handlungen verlieren sich für sie in andere Handlungen, kehren mit unerwartetem Anblick zurück, um sie zu richten, fliehen wie das Wasser des Tantalus einer noch unbekannten Einmündung zu. Die Mündung zu kennen, den Lauf des Stroms zu beherrschen, das Leben als Schicksal in die Hand zu bekommen, das ist ihre wahre Sehnsucht. Doch diese Vision, die sie in der Erkenntnis zumindest mit sich selbst ausgliche, kann nur, wenn überhaupt, in jenem flüchtigen Moment auftauchen, den wir Tod nennen: Dort vollendet sich alles. Um einmal auf der Welt zu sein, muss man für immer das Sein aufgeben.
Hier liegt der Ursprung jenes unglückseligen Neids, den so viele Menschen dem Leben anderer gegenüber hegen. Man sieht ihr Leben von außen und schreibt ihnen eine Folgerichtigkeit und Einheit zu, die sie in Wahrheit nicht haben können, die dem Betrachter indes eindeutig scheint. Er sieht nur die Gipfellinie dieses Lebens und vernachlässigt die Einzelheiten, die es entstellen. Spontan setzen wir es in einen Roman um. In diesem Sinn sucht jeder aus seinem Leben ein Kunstwerk zu machen. Wir wünschen, dass die Liebe dauert, und wissen, dass sie nicht dauert; sollte sie wunderbarerweise ein ganzes Leben andauern, so wäre sie immer noch unvollendet. In unserem unersättlichen Hunger nach Dauer verstünden wir vielleicht das irdische Leiden besser, wenn wir es ewig wüssten. Es scheint, die großen Seelen seien manchmal vom Schmerz weniger erschreckt als von der Tatsache, dass er nicht dauert. In Ermangelung eines fortgesetzten Glücks gäbe ein langes Leiden uns mindestens ein Schicksal. Aber nein, auch unsere schlimmsten Qualen enden eines Tags. Nach unermesslichen Verzweiflungen kündigt eine unbezwingliche Lust zu leben uns eines Morgensan, dass alles zu Ende ist und das Leiden nicht mehr Sinn als das Glück hat.
Der Hang nach Besitz ist nur eine andere Form des Wunsches nach Dauer; er ist es, der das ohnmächtige Rasen der Liebe hervorruft. Kein Wesen, selbst das geliebteste, das unsere Liebe am meisten erwidert, ist jemals in unserem Besitz. Auf der grausamen Erde, wo die Liebenden manchmal getrennt sterben und immer voneinander getrennt geboren werden, ist der totale Besitz eines Wesens, die absolute Gemeinschaft während des ganzen Lebens, eine unmögliche Forderung. Der Hang nach dem Besitz ist derart unersättlich, dass er die Liebe sogar überleben kann. Lieben heißt dann, den Geliebten steril zu machen. Das schändliche Leiden des nunmehr einsamen Liebenden besteht nicht so sehr darin, nicht mehr geliebt zu werden, als zu wissen, dass der andere noch lieben kann und muss. Im Grenzfall wünscht jeder Mensch, besessen von der unbändigen Begier, zu dauern und zu besitzen, den Wesen, die er geliebt hat, Sterilität oder Tod. Das ist die wahre Revolte. Die nicht wenigstens einen Tag die absolute Unberührtheit der Wesen und der Welt gefordert und nicht aus Sehnsucht und Ohnmacht vor ihrer Unmöglichkeit gezittert haben, die darauf, ihrem Hunger nach Absolutem überlassen, sich nicht zugrunde gerichtet haben beim Versuch, auf halber Höhe zu lieben, können die Wirklichkeit der Revolte und ihre Zerstörungswut nicht verstehen. Doch die Wesen entrinnen sich immer, und wir entrinnen ihnen auch; sie sind ohne festen Umriss. Das Leben, so gesehen, ist ohne Stil. Es ist nur eine Bewegung, die ihrer Form nachrennt, ohne sie je zu finden. Derart zerrissen, sucht der Mensch vergeblich jene Form, die ihm die Grenzen gäbe, in denen er König wäre. Hätte nur etwas Lebendes auf dieser Welt seine Form, er wäre mit ihr ausgesöhnt.
Es gibt schließlich kein Wesen, das von einer elementarenBewusstseinsebene an sich nicht erschöpfte auf der Suche nach Formeln und Haltungen, die seinem Dasein die fehlende Einheit gäben. Der Schein oder das Tun, der Dandy oder der Revolutionär, fordern die Einheit, um zu sein und um in dieser Welt zu sein. Wie in den
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