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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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Priesters und eines Sterbenden›; später zögert man angesichts seiner Wut des Sakrilegs. Eine seiner grausamsten Gestalten, Saint-Fond, leugnet Gott keineswegs. Er beschränkt sich darauf, eine gnostische Theorie des bösen Weltschöpfers aufzustellen und die entsprechenden Konsequenzen daraus zu ziehen. Saint-Fond, sagt man, ist nicht Sade. Nein, gewiss nicht. Eine Romangestalt ist nie der Autor, der sie geschaffen hat. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass der Autor alle seine Gestalten zugleich ist. Nun stellen alle Atheisten Sades im Prinzip die Inexistenz Gottes fest, aus dem klaren Grund, weil seine Existenz bei ihm Indifferenz, Bosheit oder Grausamkeit vermuten ließe. Das größte Werk Sades endet mit einer Darstellung von Gottes Dummheit und Hass. Die unschuldige Justine rennt unter dem Gewitter, und der verbrecherische Noirceuil schwört, er werde sich bekehren, wenn der himmlische Blitz sie verschont. Der Blitz fährt in Justine, Noirceuil triumphiert, und das Verbrechen des Menschen wird weiterhin dem Verbrechen Gottes erwidern. So gibt es also eine Wette des Freidenkers als Replik auf diejenige Pascals.
    Die Vorstellung wenigstens, die sich Sade von Gott macht, ist diejenige einer verbrecherischen Gottheit, die den Menschen erdrückt und ihn verleugnet. Dass der Mord ein göttliches Attribut ist, sieht man, nach Sade, deutlich in der Geschichte der Religionen. Weshalb wäre der Mensch alsotugendhaft? Die erste Bewegung des Gefangenen ist der Sprung in die äußerste Konsequenz. Wenn Gott den Menschen leugnet und umbringt, kann nichts verbieten, dass man seinesgleichen leugnet und umbringt. Diese verkrampfte Herausforderung gleicht in nichts der gelassenen Verneinung, die man noch im ‹Zwiegespräch› von 1782 findet. Er ist weder gelassen noch glücklich, der nun ausruft: «Nichts gehört mir, nichts stammt von mir», und der folgert: «Nein, nein, Tugend und Laster, alles geht ineinander über in diesem Sarg.» Die Gottesvorstellung ist, wie er sagt, das Einzige, «das er den Menschen nicht verzeihen kann». Das Wort verzeihen ist schon sonderbar bei diesem Meister der Tortur. Aber sich selbst vor allem kann er eine Vorstellung nicht verzeihen, die seine verzweifelte Sicht der Welt und seine Lage als Gefangener völlig widerlegen. Eine doppelte Revolte wird künftig Sades Denken leiten: gegen die Ordnung der Welt und gegen sich selbst. Da diese beiden Revolten sich überall außer im aufgewühlten Herzen eines Verfolgten widersprechen, ist sein Denken immer doppeldeutig oder legitim, je nachdem, ob man es im Lichte der Logik oder des Mitleids betrachtet.
    Er leugnet demnach den Menschen und seine Moral, da Gott sie leugnet. Aber er leugnet Gott zu gleicher Zeit, der ihm bisher als Bürge und Komplice diente. In wessen Namen? Im Namen des Instinkts, der am stärksten in demjenigen ist, den der Hass der Menschen zwischen Gefängnismauern zu leben zwingt: des Geschlechtsinstinkts. Was ist dieser Instinkt? Er ist einerseits der Schrei selbst der Natur 8 und andererseits der blinde Trieb, der den vollständigen Besitzder Menschen verlangt, gerade um den Preis ihrer Zerstörung. Sade leugnet Gott im Namen der Natur – das ideologische Arsenal seiner Zeit beliefert ihn mit mechanistischen Reden –, er macht aus der Natur eine Zerstörerkraft. Die Natur ist für ihn das Geschlecht; sein Denken führt ihn in eine Welt ohne Gesetz, wo allein die maßlose Kraft der Begierde herrscht. Dort ist das Reich seiner Fieberträume, das ihm seine erschütterndsten Schreie entlockt: «Was sind alle Geschöpfe der Erde gegenüber dem Einzigen unserer Begierde!» Die langen Erwägungen, in denen Sades Helden zeigen, dass die Natur das Verbrechen braucht, dass sie zerstören muss, um neu zu erschaffen, dass man ihr bei dieser Neuschöpfung hilft, sobald man selbst zerstört, zielen nur darauf ab, die absolute Freiheit des Gefangenen Sade zu begründen, der zu ungerecht unterdrückt ist, um nicht die Explosion herbeizuwünschen, die alles sprengen wird. Darin stellt er sich in Gegensatz zu seiner Zeit: Die Freiheit, die er fordert, ist nicht diejenige der Prinzipien, sondern der Instinkte.
    Sade träumte zweifellos von einer universellen Republik, deren Plan er uns durch einen weisen Reformator, Zame, entwickeln lässt. Er zeigt uns, dass einer der Wege der Revolte, in dem Maß wie sie, ihre Bewegung stärker und stärker beschleunigend, immer weniger Grenzen duldet, zur Befreiung der ganzen Welt führt. Doch alles in

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