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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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Bewegung. Umgekehrt muss man sich dem Gott Abrahams, Isaaks und Jacobs unterwerfen, wenn man wie Pascal die Laufbahn des revoltierenden Geistes durchlaufen hat. Die Seele, die am ärgsten zweifelt, strebt nach dem radikalsten Jansenismus.
    Von diesem Gesichtspunkt aus kann das Neue Testament als ein Versuch betrachtet werden, im Voraus allen Kains der Welt zu begegnen, indem die Gestalt Gottes abgeschwächt und zwischen ihn und den Menschen ein Mittler gestellt wird. Christus kam, zwei Hauptprobleme zu lösen: das Böse und den Tod, die beide gerade die Probleme der Revolte sind. Seine Lösung bestand zuerst darin, sie auf sich zu nehmen. Der Gottmensch leidet auch, und mit Geduld. Das Böse wie der Tod können ihm nicht völlig zugeschrieben werden, da auch er zerrissen ist und stirbt. Die Nacht von Golgatha hat nur darum für die Geschichte der Menschen so viel Bedeutung, weil in ihrem Dunkel die Gottheit, sichtbar auf alle hergebrachten Privilegien verzichtend, bis zu ihrem Ende, alle Verzweiflung eingeschlossen, die Todesangst durchlebt. So erklärt sich das
Lama asabthani
und Christi grauenhafter Zweifel in der Agonie. Die Agonie wäre leicht, wenn sie getragen würde von der ewigen Hoffnung. Damit der Gott ein Mensch sei, muss er verzweifeln.
    Die Gnostik, Frucht einer griechisch-christlichen Zusammenarbeit, versuchte während zweier Jahrhunderte, gegendas jüdische Denken ankämpfend, diese Bewegung zu verstärken. Die Vielzahl der von Valentin aus gedachten Vermittler beispielsweise ist bekannt. Aber die Äonen spielen in diesem metaphysischen Jahrmarkt die gleiche Rolle wie die vermittelnden Wahrheiten im Hellenismus. Sie zielen darauf ab, die Absurdheit einer Gegenüberstellung des elenden Menschen und des unversöhnlichen Gottes zu vermindern. Das ist insbesondere die Rolle des zweiten grausamen und kriegerischen Gottes Marcion. Dieser Demiurg hat die endliche Welt und den Tod erschaffen. Wir müssen ihn hassen und zu gleicher Zeit seine Schöpfung durch die Askese leugnen, bis zum Punkt, sie zu vernichten durch sexuelle Enthaltsamkeit. Es handelt sich demnach um eine stolze, revoltierende Askese. Nur lenkt Marcion die Revolte gegen einen unteren Gott, um den oberen umso mehr zu rühmen. Die Gnostik bleibt infolge ihrer griechischen Ursprünge versöhnend und trachtet danach, das jüdische Erbe im Christentum aufgehen zu lassen. Sie wollte auch im Voraus den Augustinismus vermeiden, insofern als dieser jeder Revolte Argumente liefert. Für Basilides zum Beispiel haben die Märtyrer gesündigt, ja, auch Christus, da sie leiden. Seltsamer Gedanke, der indes darauf abzielt, dem Leiden seine Ungerechtigkeit zu nehmen. Die allmächtige und willkürliche Gnade wollten die Gnostiker ersetzen durch den griechischen Begriff der Einweihung, die dem Menschen alle Chancen lässt. Die Unmasse der Sekten der Gnostiker der zweiten Generation drückt die mannigfachen und verbissenen Anstrengungen des griechischen Denkens aus, die christliche Welt leichter zugänglich zu machen und eine Revolte, die der Hellenismus für das Schlimmste aller Übel hielt, aller Gründe zu berauben. Aber die Kirche verurteilte diese Bestrebung und vervielfachte dadurch die Zahl der Empörer.
    In dem Maß, wie das Geschlecht Kains im Lauf vielerJahrhunderte triumphiert hat, ist es möglich zu sagen, dass der Gott des Alten Testaments ein unverhofftes Glück gehabt hat. Die Lästerer lassen paradoxerweise den eifersüchtigen Gott wiederauferstehen, den das Christentum vom Schauplatz der Geschichte vertreiben wollte. Eine ihrer tiefsten Kühnheiten war, Christus gerade für ihr Lager zu annektieren, indem sie seine Geschichte zuhöchst am Kreuz und mit dem bitteren, seiner Agonie vorausgehenden Schrei anhielten. So wurde das unversöhnliche Gesicht eines hassenden Gottes festgehalten, das mit der Schöpfung, wie die Revoltierenden sie sehen, besser übereinstimmt. Bis Dostojewski und Nietzsche richtet sich die Revolte nur gegen eine grausame und launenhafte Gottheit, die ohne überzeugenden Grund Abels Opfer demjenigen Kains vorzieht und dadurch den ersten Mord hervorruft. Dostojewski in der Vorstellung, Nietzsche in der Wirklichkeit dehnen das Feld des revoltierenden Denkens über alle Maßen aus und verlangen Rechenschaft vom Gott der Liebe selbst. Nietzsche hält Gott für tot in der Seele seiner Zeitgenossen. Wie Stirner, sein Vorgänger, greift er sodann die Illusion von Gott an, die in den Formen der Moral im Geist seiner Zeit überlebt.

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