Camus, Albert
Gesicht der andern wiederfindet. Die andern sind der Spiegel. Ein schnell beschlagener Spiegel allerdings, denn die Fähigkeit zur Aufmerksamkeit ist beim Menschen begrenzt. Sie muss ununterbrochen geweckt werden, angestachelt von Reizungen. Der Dandy ist demnach gezwungen, immerfort zu verblüffen. Seine Berufung liegt in seiner Absonderlichkeit, seine Vollendung im Überbieten. Immer im Bruch mit der Welt, am Rand, zwingt er die andern, ihn selbst zu erschaffen, indem er ihre Werte leugnet. Da er sein Leben nicht leben kann, spielt er es vor. Er spielt es vor bis zum Tode, die Momente ausgenommen, wo er allein und ohne Spiegel ist. Allein sein heißt für den Dandy nichts sein. Die Romantiker sprachen so großartig von der Einsamkeit, weil sie ihr wirklicher Schmerz war, derjenige, der sich nicht ertragen lässt. Ihre Revolte wurzelt in einem tiefen Grund, aber vom ‹Cleveland› des Abbé Prévost über die Raserei der 1830er Jahre, über Baudelaire und die Dekadenten von 1880 bis zu den Dadaisten sättigt sich mehr als ein ganzes Jahrhundert der Revolte wohlfeil an der Kühnheit der «Exzentrizität». Wenn alle vom Schmerz zu sprechen verstanden, so deshalb, weil sie, daran verzweifelnd, jemals anders als mit leeren Parodien über ihn hinwegzukommen, instinktiv spürten, dass er ihre einzige Entschuldigung blieb, ihr wahrer Adelstitel.
Aus diesem Grund wurde das Erbe der Romantik nicht von Hugo, Pair von Frankreich, sondern von Baudelaire undLacenaire übernommen, zwei Dichtern des Verbrechens. «Alles in dieser Welt», sagt Baudelaire, «schwitzt das Verbrechen aus: die Zeitung, die Mauern und das Gesicht des Menschen.» Möge das Verbrechen, das Gesetz der Welt, wenigstens ein distinguiertes Aussehen annehmen. Lacenaire, der erste der Gentlemen-Verbrecher, verwendet sich tatkräftig dafür; Baudelaire hat weniger Strenge, aber dafür Genie. Er entwirft den Garten des Bösen, wo das Verbrechen nur ein selteneres Gewächs unter anderen ist. Sogar der Schrecken wird ein feiner Empfindungsreiz. «Ich wäre nicht nur glücklich, Opfer zu sein, sondern verabscheute es auch nicht, Henker zu sein, um die Revolution auf beide Arten zu
empfinden
.» Selbst sein Konformismus hat bei Baudelaire den Geruch des Verbrechens. Wenn er Joseph de Maistre als Lehrer des Denkens wählte, so in dem Maß, wie dieser Konservative bis ans Ende geht und seine Lehre auf den Tod und den Henker ausrichtet. «Der wahre Heilige», gibt Baudelaire zu denken vor, «ist derjenige, der das Volk peitscht und tötet zum Besten des Volkes.» Er wird erhört werden. Die Rasse der wahren Heiligen beginnt sich auf der Erde zu verbreiten, um diese sonderbaren Folgerungen der Revolte zu bestätigen. Doch Baudelaire blieb, trotz seines satanischen Arsenals, seines Geschmacks an Sade, seiner Lästerungen zu sehr Theologe, um ein wahrer Rebell zu sein. Sein wirkliches Drama, das ihn zum größten Dichter seiner Zeit machte, war anderswo. Baudelaire kann hier nur insofern angeführt werden, als er der tiefste Theoretiker des Dandytums war und einer der Folgerungen der romantischen Revolte die endgültige Formulierung gab.
Die Romantik zeigt in der Tat, dass die Revolte mit dem Dandytum gemeinsame Sache macht; eine ihrer Richtungen ist das äußere Auftreten. In seiner überkommenen Form gesteht das Dandytum die Sehnsucht nach einer Moral ein. Esist nur eine zum Ehrenpunkt herabgesetzte Ehre. Aber gleichzeitig eröffnet es eine Ästhetik, die noch heute über unsere Welt herrscht, diejenige der einsamen Schöpfer, hartnäckige Rivalen eines Gottes, den sie verdammen. Seit der Romantik besteht die Aufgabe des Künstlers nicht nur darin, eine Welt zu erschaffen, noch die Schönheit um ihrer selbst willen zu verherrlichen, sondern auch darin, eine Haltung zu umschreiben. Der Künstler wird nun zum Vorbild, er schlägt sich als Beispiel vor: Die Kunst ist seine Moral. Mit ihm beginnt das Zeitalter der Gewissenslenker. Wenn die Dandys sich nicht umbringen oder verrückt werden, machen sie Karriere und stehen Modell für die Nachwelt. Selbst wenn sie wie Vigny ausrufen, sie werden nun schweigen, ist ihr Schweigen noch donnernd.
Aber in der Romantik selbst tritt die Fruchtlosigkeit dieser Haltung einigen Revoltierenden vor Augen, die darauf einen Übergangstyp zwischen dem Exzentrischen (oder ‹Incroyable› 17 ) und unseren revolutionären Abenteuern bilden. Zwischen ‹Rameaus Neffen› und den ‹Eroberern› des 20. Jahrhunderts schlagen sich Shelley und
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