Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)
républicain
und beim
Paris
-
Soir
ist es einmal mehr Pia, der Camus in den Journalismus und nun auch in den aktiven Widerstand hineinzieht und Camus’ kometenhaften Aufstieg initiiert: Ohne die Vorarbeit dieses kompromisslosen Moralisten wäre Camus kaum zu dem einflussreichen und moralisch unangreifbaren Pariser Chefredakteur geworden, der er nach dem Krieg sein wird.
Der Untergrund-
Combat
umfasste zunächst ein einzelnes Blatt, das mit einer Auflage von 10 000 Stück gestartet war und inzwischen in 250 000 Exemplaren gedruckt wurde. Die Artikel waren nicht namentlich gezeichnet, und nicht alle der im Nachhinein Camus zugeschriebenen Texte klingen wirklich nach ihm. Möglicherweise waren es nur zwei Artikel, die er in den verbleibenden Wochen bis zur Befreiung in der geheimen Widerstandszeitung veröffentlicht hat. Doch es kommt nicht auf die Zahl an: Während Sartre weiterhin seine Pfeife im Café de Flore raucht, im Lycée Condorcet unterrichtet und am 5 . Februar 1944 zum letzten Mal in der kollaborierenden Gallimard-Zeitung
Comœdia
publiziert, hat Camus etwas riskiert. Camus’ Kommentar zu Sartre im Juli 1943 : «Man muss wissen, was man will. Der Anschein trügt, ich habe nicht viele Gemeinsamkeiten mit Sartre, weder mit dem Mann, noch mit dem Werk». [172] Umgekehrt äußert sich Sartre über die Bedeutung der Résistance im November 1944 auffallend kühl: «Die Résistance war nur eine individuelle Lösung, und wir haben es stets gewusst: auch ohne sie hätten die Engländer den Krieg gewonnen, auch mit ihr hätten sie ihn verloren, wenn sie ihn hätten verlieren müssen. In unseren Augen hatte die Résistance vor allem einen symbolischen Wert; und deswegen waren viele Résistanceangehörige verzweifelt: immer Symbole. Eine symbolische Rebellion in einer symbolischen Stadt; einzig die Folterungen waren echt». [173]
Camus hat sich über seine Rolle im Widerstand stets sehr zurückhaltend geäußert und den Orden, der ihm später für seine Verdienste im Widerstand verliehen wurde, so gut wie nie getragen. An Francine schreibt er im September 1944 nach Oran:
«Nachdem ich versucht habe, über Spanien nach Hause zu kommen, und es angesichts der Aussicht, dabei verhaftet und in meinem Zustand mehrere Monate in ein Lager oder ein Gefängnis gesperrt zu werden, wieder aufgegeben habe, bin ich der Widerstandsbewegung beigetreten. Ich habe darüber lange nachgedacht und mich ganz bewusst dafür entschieden, weil es meine Pflicht ist. Ich habe schon in der Auvergne damit begonnen und danach mit Pia in Paris in der Combat-Bewegung weitergemacht». [174]
Noch in Lyon bekommt Camus falsche Papiere auf den Namen Albert Mathé, Journalist, geboren 7 . Mai 1911 . An Kämpfen oder Anschlägen war er nie beteiligt. Sein Beitrag zur Résistance sind seine Worte. Im General de Gaulle ergebenen
Combat
schreibt er nach der Landung der Alliierten in der Normandie feurige Aufrufe an «die Franzosen», sich am Widerstand zu beteiligen: «Es gibt nur einen einzigen Kampf, und wenn ihr daran nicht teilnehmt, wird euch unser Feind Tag für Tag beweisen, dass er auch euer Feind ist. Nehmt eure Plätze ein, wenn euch das Schicksal all dessen, was ihr liebt und achtet, etwas wert ist.» [175] Nur wenige Monate nach dem Erscheinen seines Plädoyers für den heldenhaften Gleichmut vor dem absurden Schicksal ruft der Verfasser des
Sisyphos
die Nation zum Kampf auf.
Camus fühlt sich nicht wohl mit diesem Widerspruch. Er versucht sich zu erklären. An Grenier schreibt er:
«Mein Essay fasst noch nicht alles zusammen. Die logischen Folgen einer Philosophie des Nichtbedeutens blieben bisher im Dunkeln. Ich habe versucht, das zu zeigen. Ich habe mehr als jeder andere die Widersprüche dieser Haltung aufgespürt. Sie hängen damit zusammen, dass diese Philosophie alle Werturteile eliminiert. Das geht nicht, denn alle Handlungen unseres Lebens sind Werturteile.» [176]
Briefe an einen deutschen Freund
In dem Dilemma, einerseits die stoische Gleichgültigkeit vor dem Absurden und andererseits den Widerstand gegen die Deutschen zu propagieren, schreibt Camus
Briefe an einen deutschen Freund
. Es sind auch Briefe an sich selbst. Denn seine Philosophie des Absurden, das weiß er, hat ihre Wurzeln in Deutschland, sie ist herangewachsen in der Kinderstube Friedrich Nietzsches, als dieser noch nicht beim «Übermenschen» und beim «Willen zur Macht» angekommen war. Dem imaginären deutschen Freund erklärt er nun, warum man
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