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Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Titel: Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Radisch
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aus derselben Textmanufaktur zu kommen scheinen? Es ist das erste Mal, dass Camus über Paris schreibt. Und er schreibt schlecht, er posiert, er bramarbasiert, er ist nicht er selbst.
    Auch Sartre schreibt über diese Tage, die sich ins Gedächtnis der Nation eingebrannt haben. Camus hat ihn für den
Combat
um eine Reportage aus der umkämpften Stadt gebeten. Und er fängt ganz einfach so an: «Ich erzähle, was ich gesehen habe». Es folgt ein elektrisierender, temporeicher Bericht über die Menschen in einer Stadt im Ausnahmezustand. Er vergisst nicht, das Unübersichtliche und Zufällige dieser Tage einzufangen und hat dabei sowohl die historische Größe als auch die vielen kleinen Tragödien im Blick, wie die des alten Mannes, der sich vor den Kugeln retten will und verzweifelt an eine Tür klopft, die man ihm nicht öffnet und auf deren Schwelle er erschossen zusammenbricht. Er trifft den Ton des Augenblicks, erzählt ohne Pose von Hoffnung, Sorge, Kameradschaft, Ungereimtheit, Chaos, Mut und Feigheit. Sartre lebt und atmet mit Paris. Er hat seiner Stadt einen grandiosen Text über ihre schicksalhaften Tage hinterlassen.
    Camus hat nun beinahe den Zenit seiner Laufbahn erreicht – als Romanautor, Essayist, Widerstandskämpfer, als Chefredakteur der glaubwürdigsten, wichtigsten Pariser Tageszeitung, als Lektor des bedeutendsten französischen Verlags, als Frauenheld und Kultautor. Er zählt zu den bekanntesten französischen Intellektuellen. Sein Leben besteht aus Zeitungskonferenzen, Verlagskonferenzen, Theaterproben, Liebesabenteuern und Nachtclubbesuchen. Doch es ist etwas faul mit seinem Pariser Leben. Camus ist in Paris nicht zu Hause.

Bester Freund wider Willen – Pascal Pia
    Seitdem der legalisierte
Combat
in den früheren Redaktionsräumen der
Pariser Zeitung
in der Rue Réaumur residiert, sind Pascal Pia und Camus so eng verbunden wie in alten algerischen Zeiten, Pia als Herausgeber, Camus als Chefredakteur des Blattes. Die Wahrheit lautet allerdings: Der
Combat
ist Pia. Pia ist überall. Er kontrolliert die Schrifttypen, die Kleinanzeigen und die Kurzmeldungen, korrigiert Unterzeilen und Überschriften, erfindet Themen und engagiert Mitarbeiter, arbeitet Tag und Nacht. Und doch ist er nicht mehr derselbe. Der Krieg hat ihn gezeichnet, wenn nicht gebrochen. Wie ein «Pferd auf dem Rückweg, müde im Geschirr, in welches das Schicksal es wieder eingespannt hat» [186] , nimmt er sich in die Pflicht.
    Keiner von beiden hat es so gesehen, doch Pia, zehn Jahre älter als Camus, war der wichtigste Mensch in seinem Leben. Zwei Jahre älter als Sartre und wie dieser vaterlos in Paris aufgewachsen, verhielt sich Pia stets rücksichtslos gegen sich selbst, und was dabei besonders hervorstach, war sein völliges Desinteresse an Macht oder persönlichem Fortkommen. Die Daten seines Lebens hat Roger Grenier überliefert, ein
Combat
-Mitarbeiter der ersten Stunde, der nicht nur eines der besten Bücher über Camus (
Albert Camus soleil et ombre
), sondern auch eine schmale Biographie über Pascal Pia verfasste:
Pascal Pia ou le Droit au Néant.
    Pia, der bei seiner Mutter lebte, begann als Vierzehnjähriger arbeiten zu gehen. In den zwanziger Jahren zog er seinen ersten Gedichtband, der bei Gallimard bereits angezeigt war, im letzten Moment zurück, weil man seine «Gedichte genauso gut verbrennen wie veröffentlichen» könne. Es hieß, er habe auf seine Zulassung zur École Normale Supérieure verzichtet. In den zwanziger Jahren schrieb er ein paar Aufsätze über Literatur in der
Nouvelle Revue Française
, gegen Aragon und gegen die Surrealisten. In den dreißiger Jahren veröffentlichte er einen Roman unter dem Pseudonym Pascal Rose, zu dem er sich nie bekannte. Im Paris der vierziger Jahre war er so kompromisslos wie kein anderer.
    Er hasste die Schauspielerei, selbst das Theater war ihm verdächtig – es mache alle dumm, die dort arbeiteten. Pia reiste wenig und interessierte sich nicht für ferne Länder. Die Italienbegeisterung der französischen Intellektuellen hielt er für Snobismus. Den internationalen Konferenz- und Vortragstourismus der Pariser Kulturelite, an dem auch Camus bald teilnahm, nannte er Prostitution. Durch intellektuelle Prominenz war er nicht zu beeindrucken. In seiner Jugend, so behauptete er, sei er von Apollinaire-Gedichten abhängig gewesen wie von einer Droge. Sein Gedächtnis war phänomenal, die französische Lyrik des 16 . und 17 . Jahrhunderts kannte er weitgehend

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