Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)
Augenblicken zärtlich herablächelt.
Camus radikalisiert sich, als die Niederlage der Deutschen zum Jahreswechsel 1942 / 43 , mit der sich anbahnenden Wende von Stalingrad absehbar wird. Anfang Januar 1943 reist er auf Einladung seines Verlags nach Paris, um Jean Paulhan, Gaston Gallimard und auch dessen Neffen, seinen späteren Freund Michel Gallimard, kennenzulernen.
Der Fremde
ist inzwischen ein Erfolg, und Gaston Gallimard hat eingewilligt, seinem Autor ein festes monatliches Gehalt zu zahlen.
Zurück in seinem Bergdorf, bei seinen Entwürfen zur
Pest
, beginnt Camus, Beziehungen zur Combat-Bewegung zu knüpfen. Pascal Pia – natürlich – steckt bereits tief drin und reist in geheimer Mission zwischen Frankreich und der Schweiz hin und her; er führt seinen algerischen Freund in die Résistance-Kreise ein. In seiner Pension trifft Camus Mitglieder des Widerstands, unter anderem den Dominikanerpater Bruckberger, aber auch den Dichter Francis Ponge, mit dem er eine einfühlsame Korrespondenz beginnt, in der er die Verwandtschaften zwischen der Ding-Poetik des Lyrikers und seiner eigenen Philosophie des Absurden herausstreicht: «Eine Folge des absurden Denkens ist die Gleichgültigkeit und die vollkommene Entsagung – die des Steins.» [168] Ponge bedankt sich mit ausführlichen Briefen zum
Sisyphos
: «Natürlich, die Welt ist absurd. Natürlich, sie hat keine Bedeutung. Aber was ist daran tragisch?» [169] Für Ponge, der in seinem Prosaband
Im Namen der Dinge
eine Poetik der gegenständlichen Welt ohne Menschen entworfen hat, ist das Absurde kein metaphysischer Skandal.
Bei Pia in Lyon lernt Camus den Widerstandskämpfer und Dichter René Leynaud kennen, mit dem er sich anfreundet und dem er, nachdem er 1944 von den Deutschen hingerichtet worden ist, einen bewegenden Text widmen wird. Noch nie, wird Camus behaupten, habe ihn der Tod eines Menschen so tief berührt wie der seines Freundes Leynaud.
Bei Pia verkehren auch Louis Aragon und dessen Frau Elsa Triolet, die von Camus begeistert ist. Pia und Ponge trägt er Szenen seines neuen Dramas
Das Missverständnis
vor. Es gehört zur zweiten Werksetage, Drama, Roman und Essay entstehen nach dem bewährten Prinzip gleichzeitig und befruchten einander. In Brüssel veröffentlicht Camus einige Seiten aus der
Pest
– wie für Pia, wie für Ponge und für Leynaud soll es nun auch für den Gallimard-Autor Camus keine Kompromisse mehr mit den Deutschen geben.
Allerdings ist an eine Veröffentlichung der
Pest
und des Essays
Der Mensch in der Revolte
mit dem Segen der NS -Propaganda auch im Traum nicht mehr zu denken. Kein noch so schöngeistiger NS -Zensor würde diese Bücher als unpolitisch einschätzen und durchwinken. So unpolitisch wie Sartres 700 -seitiges philosophisches Hauptwerk
Das Sein und das Nichts
, das im Juni 1943 die Schreibtische der Herren von der NS -Propaganda anstandslos passiert.
Camus hat die philosophische Erkundung der Welt abgeschlossen. Wer mehr über das Absurde zu sagen versucht, glaubt am Ende doch an die Erklärbarkeit der Existenz. Für Camus bleibt sie im Innersten unverstehbar. Jetzt will er sich um die Menschen kümmern.
Im November 1942 besetzten die Deutschen auch das freie Frankreich, was den Feuervogel Pia, der inzwischen Chefredakteur der 1941 in Lyon von Henri Frenay im Untergrund gegründeten Résistance-Zeitung
Combat
geworden war, zu einem Umzug mit seiner Mannschaft nach Paris veranlasste. Und Camus folgt seinem Freund – wieder einmal. Bisher ist er in allen wichtigen Lebensabschnitten unverbrüchlich der Mann an Pias Seite. Im Oktober 1943 bezieht er ein Zimmer in der Rue de la Chaise. Im November 1943 wird er Lektor im Verlag Gallimard, unter Leutnant Heller und Tür an Tür mit dem Faschisten Drieu, dem faschistischen Parteimitglied Ramon Fernandez, dem Sprachphilosophen Brice Parain, dem Schriftsteller Raymond Queneau, dem Germanisten Bernard Groethuysen und dem Résistance-Mitarbeiter Paulhan. Der entlassene jüdische Lektor Benjamin Crémieux, vormals ein renommierter Linksintellektueller der Dritten Republik und Generalsekretär des französischen PEN , dessen verwaisten Platz Camus im Lektorenkomitee einnimmt, ist zu diesem Zeitpunkt noch am Leben. Er wird 1944 in Buchenwald sterben. Das Verlagsprogramm, für das Camus jetzt mit verantwortlich ist, darf nicht nur keine Bücher jüdischer Autoren, sondern seit 1943 auch keine Übersetzungen aus dem Englischen und Amerikanischen mehr
Weitere Kostenlose Bücher