Canale Mortale (German Edition)
Hat er denn verstanden, dass du
von Erpressung gesprochen hast?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht hat er mein Italienisch nicht
verstanden. Er wollte überhaupt nicht weiter mit mir sprechen.«
»Jetzt entspann dich erst mal, du wirst sehen, es ist alles halb so
schlimm. Ich bestelle die Rechnung, ich muss wieder zurück zur Probe. Heute
Abend sehen wir weiter.«
Antonia fühlte sich nach diesem Gespräch ruhiger. Sie blieb noch
eine Weile sitzen und beobachtete das Treiben auf dem Campo. Sie beneidete die
vielen Touristen, die hier einfach nur Ferien machen konnten. Dieser Job fing
an, ihr den Genuss an der Stadt zu verleiden.
Der Himmel hatte sich inzwischen bedrohlich verdunkelt. Sie trank
ihren Milchkaffee aus und stand auf, um noch trocken nach Hause zu kommen. Als
sie die Accademia-Brücke überquerte, setzte jedoch ein wolkenbruchartiger Regen
ein. Er währte nur kurz, aber lange genug, um sie bis auf die Haut zu
durchnässen. Als sie im Laufschritt beim Palazzo ankam, traf sie auf Octavia.
»Antonia, Sie triefen ja vor Nässe, Sie Arme! Lassen Sie sich von
Giovanna ein paar Handtücher geben und kommen Sie zum Tee. Ich muss eben hoch
auf den Wäscheboden. Flavia sagte mir gerade, dass durch die Öffnung im Dach
viel Regenwasser hereingekommen sei. Die Arbeiter haben Eimer nach oben gebracht,
aber es hat nicht viel genützt. Ich hoffe, die Decke hält dicht, denn genau
unter der Stelle liegt der Saal mit der Sammlung meines Vaters.«
Antonia nahm eine heiße Dusche und ging dann in den Salon hinunter.
Octavia saß in ihrem Sessel und blätterte in einem Magazin. Als Antonia sich
nach dem Dach erkundigte, winkte Octavia ab.
»Alles halb so schlimm. Flavia und ihr Bruder Andrea haben das
meiste schon aufgewischt und das Loch mit einer Plane abgedeckt. Morgen soll es
gutes Wetter geben, dann werden sie die schadhafte Stelle neu decken.«
»Einer der Arbeiter ist Flavias Bruder, nicht wahr?«
»Ja, der Hübscheste von den dreien. Er will bald heiraten und sich
von Don Orione trauen lassen.«
Antonia erinnerte sich an das Brautpaar, das sie bei Don Orione in
der Kirche gesehen hatte. Als sie nach dem Conte fragte, konnte Octavia sie
beruhigen. Sie hatte ihrem Vater erzählt, dass Antonia sich in Cecilias Zimmer
ein paar Bücher ansehen wollte, und es schien ihn nicht weiter zu
interessieren.
»Und er hat sie nichts weiter gefragt? Ich habe versucht, ihm von
den Briefen zu erzählen …«
Octavia sah erschrocken auf. »Tatsächlich? Davon hat er nicht
gesprochen. Mir ist aber aufgefallen, dass mein Vater seit einiger Zeit vieles
rasch wieder vergisst. Vielleicht hat er Sie nicht verstanden.«
Antonia lehnte sich erleichtert zurück. Ihr Blick fiel auf Cecilias
Initialen auf der silbernen Teekanne.
»Das Zimmer Ihrer Schwester wirkt sehr luxuriös. Es scheint, als
wäre sie sehr verwöhnt gewesen …«
Octavia zögerte mit einer Antwort. Ihre linke Hand glitt über den
Tisch neben ihrem Sessel und tastete nach der Zigarettenschachtel. Dann ließ
sie das Paket wieder sinken, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor
ihrer Brust, als müsse sie sich wappnen.
»Es fällt mir nicht leicht, über sie zu sprechen. Meine Schwester
war kein einfacher Mensch. Als Cecilia jung war, hat sie sich in einen
mittellosen Künstler verliebt, aber unser Vater war gegen diese Verbindung. Er
war sehr despotisch in seiner Liebe zu Cecilia. Niemand war gut genug für seine
Prinzessin. Um die beiden zu trennen, hat er meine Schwester in ein Schweizer
Internat gesteckt. Der junge Mann hat dann später eine Freundin Cecilias
geheiratet und ist heute ein erfolgreicher Bildhauer. Meine Schwester hat das
meinem Vater nie verziehen.«
Antonia hörte gespannt zu. Sie beobachtete, wie Octavias Gesicht vor
Kummer einen bitteren Ausdruck annahm, als sie mit der Geschichte ihrer
Schwester fortfuhr.
»Als Cecilia aus der Schweiz zurückkam, hatte sie nicht nur den
teuer bezahlten gesellschaftlichen Schliff, sondern auch eine Reihe sehr
unangenehmer Angewohnheiten angenommen. Sie war im Internat offenbar unter
schlechten Einfluss geraten. Sie trank viel und nahm alle möglichen Tabletten,
zum Schlafen, zum Wachsein, Appetitzügler, Schmerzmittel. Die Kommode in ihrem
Zimmer war immer voll mit Medikamenten. Ich habe meinen Vater gewarnt, aber er
wollte nichts davon wissen. Für ihn war das Wichtigste, dass seine Prinzessin
wieder da war.«
»Und wie kam es zu der Ehe mit Guido?«
Octavia kroch wieder förmlich in ihren
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