Canale Mortale (German Edition)
verkrampfen sich. Das macht das Üben sehr unangenehm.«
Antonia stand auf, um die Espressokanne auf den Herd zu stellen.
Dabei kam sie wieder auf die Sette Martiri zurück.
»Vielleicht haben die sieben Märtyrer doch etwas mit den ›7 M ‹ der Briefe zu tun. Das würde erklären, wieso sie den
Conte in den Briefen als Verräter und Faschisten beschimpfen. Sie geben ihm
eine Mitschuld an den Erschießungen …«
Florian war skeptisch. »1944 ist der Conte doch höchstens achtzehn
oder zwanzig Jahre alt gewesen. Was kann er da schon getan haben? Er war zu
jung, um eine politische Rolle zu spielen.«
»Vielleicht hat es mit seinem Vater zu tun?«
»Das kann dir nur der Conte beantworten.«
Florian goss sich Kaffee nach und zog sich mit seiner Espressotasse
zum Notenstudium ins Wohnzimmer zurück. Ab und an hörte Antonia, wie er leise
vor sich hin summte.
Sie wusch ab und dachte an die Schachtel mit den Briefen, die ihr
Octavia vor ein paar Tagen gezeigt hatte. Das Beste wäre, wenn sie sich jeden
einzelnen noch einmal ansehen würde. Sie wischte gerade mit einem Tuch über den
Küchentisch, als ihr Handy klingelte. Am anderen Ende war ihre muntere Kollegin
Rita Welsch aus Köln.
»Ja, Leute, was soll ich sagen? Köln liegt jetzt auch im Wasser, es
regnet seit Tagen. Ich dachte, ich komme mal vorbei, wenn ich einen günstigen
Flug finde. Was haltet ihr davon?«
Antonia freute sich über Ritas Anruf. »Wenn es dir nichts ausmacht,
auf dem Sofa zu schlafen? Dann komm doch zum Wochenende!«
Rita hüstelte. »Ja, das ist ja schon morgen, und wie das Leben so
spielt, gibt es am Sonntag noch einen billigen Flug …«
Antonia wusste, dass Florian von diesem Überraschungsbesuch nicht
begeistert wäre, aber sie kannte auch Rita und ihre flinke Art, die Dinge
anzugehen. Ihr selbst kam dieser Besuch sehr gelegen, denn Rita hatte ein gutes
Gespür für Zusammenhänge und kombinierte Informationen in Windeseile zu
Erkenntnissen, die ihr bei der jetzigen Recherche nützlich sein konnten.
So auch diesmal. Antonia hatte Rita gerade die Situation geschildert
und von ihrer Absicht erzählt, nach dem Besucher aus Amerika im Internet zu recherchieren,
als Rita ihr den Tipp gab, nach dem Namen Aram Singer in den Tageszeitungen von
Baltimore online zu suchen. Während sie erläuterte, wie hilfreich
Presserecherchen sein konnten, buchte sie – wie Antonia hören konnte – nebenbei
ihren Flug im Internet und ließ sich noch einmal die Adresse des Palazzo
Falieri geben. Sie komme dann Sonntagmittag.
Als sie aufgelegt hatte, sah Antonia amüsiert zu Florian hinüber,
der auf dem Sofa saß und ahnungslos in seiner Partitur blätterte. Sie musste
ihm später schonend beibringen, dass sie das Apartment ab Sonntag mit der
Freundin teilen würden. Hoffentlich hatten Octavia und der Conte nichts
dagegen, dass sie einen Gast im Apartment einquartierte. Dann klappte sie ihr
Laptop auf und suchte erneut im Internet nach Aram Singer.
Seine Website als Händler für Badezimmereinrichtungen schien
veraltet und brachte sie nicht weiter. Erst als sie Ritas Rat befolgte und nach
Tageszeitungen in Baltimore recherchierte, hatte sie Glück. Bei einer Zeitung
gab es eine Archivfunktion. Sie suchte unter dem Namen Singer und fand im
Lokalbereich einen Artikel vom März.
Unter der Schlagzeile: »Eltern verloren den Kampf um das Leben ihrer
kranken Tochter« zeigte der Artikel ein Foto des Ehepaares Singer am
Krankenbett einer jungen Frau. Es hieß, dass Aram und Esther Singer zwei Jahre
lang Geld durch Spendenaufrufe gesammelt hätten und Singer in einer
Erbschaftssache in Europa gewesen sei. Aber die teure Operation kam zu spät.
Die junge Frau, die lange vergeblich auf eine Herztransplantation gewartet
hatte, war im Februar gestorben.
Antonia schrieb sich das Sterbedatum auf. Sie lief zu Florian, ließ
sich neben ihm auf dem Sofa nieder und schilderte ihm aufgeregt ihren Fund.
Florian löste sich aus seinen inneren Welten, in denen er den Musikläufen eines
modernen Komponisten gefolgt war, und nickte bedächtig. Antonia rieb die Hände
gegeneinander und dachte laut nach.
»Vielleicht hat die Krankheit seiner Tochter etwas mit Singers
Besuch in Venedig zu tun. Möglicherweise ist er mit dem Conte verwandt, und
Aram versuchte, an ein Erbe zu kommen.«
»Aram Singer ist ein jüdischer Name. Wie sollte er mit den Falieris
verwandt sein?«, wandte Florian ein.
»Das frage ich Singer am besten selbst. Ich habe seine
Telefonnummer. Am
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