Canale Mortale (German Edition)
drehte sich nicht nach ihr um. Stattdessen gab die alte Dame nur ein
tiefes Räuspern von sich, das an das Geräusch erinnerte, das ein altes Motorrad
beim Starten macht.
Antonia sah, wie sie über den Kirchplatz und auf den Eingang von San
Trovaso zuging. Offenbar wollte sie in die Messe.
Antonia nahm an den Zattere das Direktboot der Alilaguna zum
Flughafen. Sie kam gerade noch zeitig an. Die Maschine aus Köln war schon
gelandet.
Rita erschien freudestrahlend und wie immer etwas grell
herausgeputzt als eine der ersten Fluggäste am Ausgang. Eingehüllt in eine
intensive Duftwolke umarmte sie die Kollegin herzlich. Antonia wich benommen
zurück.
»Du riechst aber gut …«
»Ich hab im Duty Free ja auch so ziemlich jedes Parfüm
durchprobiert. Du siehst toll aus, Antonia, du bist ja schon richtig braun
geworden. In Köln hat es nur geregnet …«
Im Palazzo warteten Jana, Ugo und Florian auf die Ankunft der
beiden. Man hatte inzwischen einen Bootsausflug an den Lido und zu den Inseln,
die sich an den Lido anschlossen, geplant. Ritas Gepäck wurde nur eben
abgestellt, dann gingen alle zum Boot hinunter. Rita stieß Begeisterungsschreie
aus, als sie das Andron betraten. Es war ein heißer, sonniger Tag, und der
ganze hohe Raum war erfüllt von den Lichtreflexen, die der Kanal hineinwarf.
»Eine richtige Gondel, und da, kuck mal, die Leuchter, das glaubt mir
zu Hause keiner!«
Sie machte ein Foto nach dem anderen, bis Antonia sie sanft zum Boot
schob.
»Unterwegs gibt es noch genug zu fotografieren.«
Jana wies allen ihre Plätze zu und warf den Motor an. Sie lenkte das
Boot diesmal nicht in Richtung Giudecca-Kanal, sondern fuhr durch den engen Rio
San Trova zum Canal Grande. »Sightseeing für Rita«, kommentierte sie die Route.
Unterwegs kamen sie am »Già Schiavi« vorbei, und Antonia schaute interessiert
zu den Fenstern hoch. Vor den Auslagen standen jedoch wieder Gäste mit
Weingläsern und Plastiktellern in der Hand, sodass die Bar vom Kanal aus nicht
einzusehen war.
Am Ende des Rios passierten sie den kleinen Palazzo, aus dem Antonia
vor ein paar Tagen Guido hatte kommen sehen. Ihr fiel auf, wie Jana mehrfach
zum Piano Nobile hochschaute, und sie folgte ihrem Blick. Die weißen
Tüllgardinen im ersten Stock aber waren unbewegt und geschlossen. Nichts
deutete auf die Anwesenheit eines Bewohners hin.
»Wir fahren hier in den Canal Grande, biegen dann nach rechts ab und
fahren über die Lagune zum Lido«, erläuterte Jana mit Fremdenführerstimme.
Über ihnen spannte sich ein wolkenlos blauer Himmel, und alle
genossen die Fahrt, obwohl ein dichtes Gedränge von Vaporetti, Motorbooten und
Gondeln auf dem großen Kanal herrschte. Rita kreischte jedes Mal vergnügt, wenn
die Vaporetti oder Wassertaxen nahe an das Boot kamen und der Wellengang
stärker wurde. In den kleineren Kanälen tauchten immer wieder Gondeln mit
mehreren Rudern auf, und Ugo erklärte ihnen, dass es sich um die Vorbereitung
für einen Wettbewerb handele.
»Sie üben für die Vogalonga, die Ruderregatta Anfang Juni. Dazu
werden viele ausländische Ruderer erwartet, und die Venezianer wollen natürlich
gut abschneiden.«
Rita warf die Arme in die Luft und pries die Sonne, die weiche Luft
und das Leben im Allgemeinen. Nur Ugo maulte, weil der Ausflug ihn daran
hinderte, die Übertragung eines Fußballspiels im Fernsehen zu sehen. Aber
Octavia war unnachgiebig geblieben und hatte darauf bestanden, dass er mitfuhr.
Antonia hatte die Auseinandersetzung zwischen den beiden zufällig mitbekommen.
Octavia hatte ungewöhnlich streng mit ihrem Sohn gesprochen, der in seinem
Zimmer vor dem Computer saß.
»Du starrst nur noch auf irgendwelche Bildschirme. Da draußen ist
eine ganze Welt, und ich möchte, dass du zu ihr Kontakt hältst. Entweder du
fährst mit zum Lido, oder du trinkst mit Tante Alba und Großvater Tee!«
Vor diese Alternative gestellt, hatte Ugo lieber den Bootsausflug
gewählt.
Nach einer halben Stunde erreichten sie den Lido, und Jana
manövrierte das Boot in einen schmalen Kanal. Von dort waren es nur noch ein
paar hundert Meter zum Strand. Florian versuchte Ugo etwas aufzuheitern, indem
er ihm eine Plastikflasche zuspielte und ihn animierte, zurückzuschießen. Jana
machte mit und tobte mit den beiden durch den Sand. Florian hatte seine Jeans
hochgekrempelt und kickte die Flasche immer wieder ins Meer, bis alle drei
lachend ins Wasser stoben.
Rita und Antonia blieben etwas hinter ihnen zurück. Antonia
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