Canale Mortale (German Edition)
Dass
sie die Geschichte seiner verkorksten Ehe mit Cecilia kannte, konnte er ja
nicht ahnen.
Guidos Pupillen verengten sich für eine Sekunde, dann machte er eine
abwehrende Handbewegung.
»Der Conte will jeden Kontakt zwischen mir und seiner Enkelin
verhindern. Nach Cecilias Tod sollte ich aus der Familie eliminiert werden. Er
hat mich nie als Schwiegersohn akzeptiert. Aber ich mag meine Nichte, und
niemand kann mir verbieten, sie ab und an zu treffen!«
Antonia schwieg. Sie hatte aus anderen Befragungen gelernt, dass man
ein Gegenüber durch Schweigen verunsichern konnte, vor allem wenn man seinen
Blick dabei auf ihm ruhen ließ. Tatsächlich begannen Guidos Hände leicht zu
zittern, als sie ihn unverwandt ansah. Aufreizend langsam nahm sie einen
Schluck Wein und lehnte sich in ihren Stuhl zurück.
»Und Ihre Beziehung zu Jana ist rein verwandtschaftlich?«
Guido runzelte die Stirn. Seine Stimme bekam einen unangenehmen
Klang. »Was soll das heißen? Was mir von dieser Familie alles unterstellt wird!
Der Alte konnte doch selbst seine Finger nicht von den jungen Mädchen lassen.
Cecilia hat mir erzählt, wie er ihr nachgestellt hat, als sie vierzehn war. Der
eigenen Tochter! Und auch hinter Jana war er her.«
Antonia erschrak, hatte sich aber sofort wieder unter Kontrolle. Sie
traute Guido nicht.
»Davon hat mir Jana nie etwas erzählt. Ich werde sie heute noch
danach fragen.«
Wieder hob Guido abwehrend die Hände. »Nein, Antonia, bitte nicht.
Sie sind wirklich eine gute Freundin für Jana. Sie scheinen sich Sorgen um sie
zu machen. Bitte sagen Sie ihr nichts von unserem Gespräch. Sie ist so
sensibel, es würde sie verstören.«
Dann lächelte er sein gewinnendes Lächeln. »Jana ist bei mir sehr
gut aufgehoben!«
Guido sollte keinen Verdacht schöpfen, dass er von ihr befragt
wurde. Es war besser, er nahm an, dass sie sich aus reiner Sympathie für Jana
wegen der Drohbriefe Gedanken machte. Antonia leerte ihr Glas und griff nach
ihrer Tasche.
»Ich danke Ihnen für das Gespräch, Guido. Es hat mich sehr gefreut,
Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Als sie aufstand, erhob sich Guido mit ihr, griff nach ihrer Hand
und zog sie an seine Lippen. Antonia empfand ein angenehmes Prickeln, als sein
Mund ihren Handrücken berührte. Guido schien ihre Reaktion zu bemerken. Er
lächelte mit einem siegesgewissen Ausdruck in den Augen und verbeugte sich.
»Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen. Falls Sie noch Fragen
haben, können wir uns jederzeit wieder verabreden. Es macht Spaß, mit einer
schönen Frau wie Ihnen zu plaudern.«
Antonia ging leicht benommen in Richtung Campo San Barnaba. Dieser
Guido war mit allen Wassern gewaschen, so viel stand fest.
Als sie im Palazzo zum Gästeapartment hinaufgehen wollte, klingelte
ihr Handy. Es war Octavia. Mit kleiner, verschreckter Stimme bat sie Antonia in
den Salon. An der Art, wie sie sprach, konnte Antonia heraushören, dass etwas
Unangenehmes passiert sein musste.
Sie fand ihre Gastgeberin zusammengesunken und bleich in ihrem
Sessel vor. Sie war allein, Tante Alba schien sich zurückgezogen zu haben. Vor
Octavia lag ein großes gelbliches Blatt.
»Das ist eben abgegeben worden. Giovanna hat es mir gebracht. Gott
sei Dank halten mein Vater und Alba ihren Mittagsschlaf. Auch meine Tante weiß
nichts von den Briefen.«
Antonia nahm den Papierbogen auf. Das Schreiben war diesmal nicht
handschriftlich, sondern gedruckt abgefasst. In großen Typen stand dort: »Du
verdammter Dieb! Dir geht es bald an den Kragen!«
Der Brief war nicht unterzeichnet. Lediglich auf den Umschlag hatte
jemand »7 M « gekritzelt.
Antonia ließ das Blatt sinken. »Wann, sagten Sie, haben Sie den
letzten dieser Briefe bekommen?«
»Kurz vor Papas Abreise in die Schweiz. Sie scheinen zu wissen, dass
er zurück ist. Was soll ich nur tun?«
Um Octavia zu beruhigen, versprach Antonia, eine erfahrene Kollegin
aus Köln in die Sache einzuweihen. Ob es Octavia recht sei, wenn sie die
Kollegin, die am Sonntag nach Venedig komme, kurzfristig beherberge?
Octavia schien sich über die Aussicht, dass Antonia Unterstützung
bekam, etwas zu beruhigen.
Antonia hingegen stieg nervös die marmornen Stufen zum Gästeapartment
hoch. Die Absender der Briefe wussten demnach, was im Palazzo vor sich ging.
Was veranlasste sie, nach so langer Pause ihre Drohungen fortzusetzen? War es
tatsächlich die Rückkehr des Conte?
Als sie die Tür zum Apartment aufschloss, hörte sie vom Dach her
laute Stimmen
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