Canale Mortale (German Edition)
Wir
können mitkommen, wenn wir möchten.«
Rita stimmte begeistert zu.
Jana hatte drei Karten an der Kasse hinterlegen lassen, und
gegen sieben Uhr gingen die drei Frauen gut gelaunt zu Fuß zum
La-Fenice-Theater. Auf dem Programm stand »La Traviata«.
Antonia war vom Inneren des renovierten Barocktheaters beeindruckt.
Neugierig sah sie zu den vielen Logen ringsum auf, in denen Venezianer
plaudernd auf den Beginn der Vorstellung warteten. In einer davon meinte sie
kurz das Profil Guidos zu sehen, doch genau in diesem Moment erloschen die
Lichter, und die Ouvertüre setzte ein.
Rita schien von der Aufführung tief ergriffen. Bei der Szene, in der
Alfredos Vater Violetta bittet, auf Alfredo zu verzichten, zog sie ein
Papiertaschentuch hervor und betupfte sich die Augen, und während der
Wiedersehensszene, als sich die vom Tod gezeichnete Violetta und Alfredo wieder
in den Armen lagen, putzte sie sich laut die Nase.
Jana hingegen beschwerte sich in der Pause über die Akteure. Sie
habe diese Oper schon oft gehört, und so schlecht wie heute sei die Aufführung
noch nie gewesen. In diesem Moment gesellten sich Octavia und Tante Alba zu
ihnen. Die alte Dame stellte sich als liebenswert und eigensinnig heraus – und
als hochgradig schwerhörig.
Sie sprach dementsprechend sehr laut, mal auf Italienisch, dann
wieder auf Deutsch mit Schweizer Akzent. Die Aufführung gefalle ihr gar nicht,
es mangele ihr an Opulenz. Das karge Bühnenbild erinnere sie an einen Wartesaal
oder Bahnsteig. Jana, die die Aufführung eben noch selbst wegen der
gesanglichen Qualität kritisiert hatte, der aber das Bühnenbild gefiel,
versuchte ihre Großtante zu beschwichtigen.
»Vielleicht hängt es mit den gekürzten Subventionen zusammen …«
Aber Tante Alba wollte sich nicht beruhigen lassen. »Wenn ich auf
einem Bahnhof stehe, weiß ich, dass bald der Zug kommt«, trompetete sie durchs
Foyer. »Und in einer Tiefgarage stehen Autos. Aber auf der Bühne muss ich das
nicht haben. Und wenn diese Gauner die Ausgaben für die Oper kürzen, würde ich
lieber ganz auf die Aufführung verzichten, als sie in diese weiß getünchten
Wände zu stellen.«
Alba hatte sich in Rage geredet, und Octavia sah sich beunruhigt um,
ob die Stentorstimme der alten Dame nicht zu viel Aufmerksamkeit erregte.
Alba nickte während ihrer Ausführungen ständig jemandem zu. Sie
schien halb Venedig zu kennen. Gerade als sie einem kleinwüchsigen Mann ihre
Meinung über die Aufführung ins Ohr schrie, kündigte der Gong das Ende der
Pause an.
Von ihrem Platz blickte Antonia noch einmal unauffällig zu der Loge
hoch, in der sie Guido zu sehen geglaubt hatte. Sie sah dort jedoch nur eine
blonde Frau mittleren Alters, die ein glitzerndes Diadem mit einer Federboa im
Haar trug, neben einem bärtigen Herrn im Smoking. Hatte sie sich getäuscht? Sie
lieh sich Janas Opernglas und schaute noch einmal zu der Loge hoch. Hinter der
Blonden und ihrem Begleiter konnte sie den Umriss einer weiteren Person
erkennen, aber der hintere Bereich der Loge lag zu sehr im Dunkeln, um
Genaueres zu sehen.
Nach der Aufführung beeilte sich Antonia, als eine der Ersten auf
die Freitreppe zu gelangen, um das herausströmende Publikum beobachten zu
können. Falls Guido unter den Zuschauern gewesen war, würde er ihr auffallen.
Sie konnte ihn aber nirgends entdecken.
Als sie mit Jana und Rita vor dem Theater stand, um auf Octavia und
Tante Alba zu warten, tauchte jedoch das Paar aus der Loge auf. Die Dame mit
dem Diadem und ihr Begleiter im Smoking schienen es eilig zu haben, denn sie blieben
nicht wie andere Opernbesucher auf den Vorplatz stehen, sondern strebten dem
Kanal hinter dem Theater zu, auf dem die Taxiboote ankerten. Antonia machte mit
ihrem Handy ein Foto von den beiden, indem sie so tat, als wolle sie das Portal
des La-Fenice-Theaters aufnehmen. Jana, der sie das Foto zeigte, zuckte nur mit
den Schultern.
»Keine Ahnung, wer das ist. Ich kenne die älteren Leute aus der
Stadt nicht, da musst du Tante Alba fragen oder meinen Großvater. Warum
interessierst du dich für sie?«
»Ich meine, ich hätte deinen Onkel mit den beiden gesehen.«
»Guido?« Jana machte ein ungläubiges Gesicht. »Der geht bestimmt
nicht in die Oper. Er hat Tante Cecilia immer allein oder mit Großvater gehen
lassen. Der vergnügt sich lieber im Casino.«
Octavia kam mit Alba am Arm zu ihnen und schlug vor, noch etwas
essen zu gehen. Man ging in das Restaurant am Theater. Tante Alba grüßte
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