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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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Onkel sich damals aufs Rad setzten, war es schon dunkel – es war sieben oder halb acht, aber November, und damals gab es auf dem offenen Land keine Straßenbeleuchtung wie heute –, und nach zwei oder drei Kilometern holten sie Onkel Adelchi ein, der vor dem Wirtshaus in Sessano auf sie wartete. Dann ging’s weiter nach Borgo Piave und dann Littoria. Insgesamt zehn Kilometer.
    In Sessano hielten sie sich nicht auf, denn unter einem Vorwand oder einem anderen hatten sie es sich am Nachmittag bereits angesehen. Großvater war der erste gewesen: »Ich hab keine Zigarren mehr«, hatte er zu Großmutter gesagt, kaum waren sie vom Karren gestiegen, und hatte sämtliche Taschen in Jacke und Hose mehrmals abgetastet, als könne er dadurch eine hervorzaubern. Sie sah ihn an, mit dem durchtriebenen Blick dessen, der verstanden hat, einem aber partout nicht aus der Patsche helfen will: »O nein, Freundchen! Das musst du schon klar und deutlich aussprechen!« Also hatte er – »Dieses gemeine Luder, sie hilft mir doch nicht« – ausdrücklich sagen müssen: »Was meinst du, geh ich rüber und hol mir eine Zigarre?«
    »Geh nur, geh«, hatte sie gesagt. »Hättest du dir nicht am Bahnhof eine kaufen können?« Und Großvater war gegangen und hatte sich ganz Sessano, heute Borgo Podgora, gründlich angesehen, sogar die Kirche von innen; vor allem aber die Wirtshäuser von innen, und er hatte sich das seine schon ausgesucht, den Wein probiert – Wein von den Castelli: »Gut!« – und schon Freundschaften geschlossen: »Wir sehen uns dann zu einer Partie Briscola.«
    So sind meine Onkel im Dunkeln nach Littoria gekommen. Oder genauer, das war noch nicht Littoria, es war Littoria im Bau, aber es war doch schon Littoria. Die Lichter sah man schon von Borgo Piave aus – in Borgo Piave, das damals noch Passo Barabino hieß, gab es jede Menge Baracken, auch Schankbuden, und in der Mitte der Rotunde das Baugerüst, wo der Wasserturm für die Wasserleitung gebaut wurde –, und als meine Onkel weiter hinten die Lichter von Littoria sahen, traten sie in die Pedale: »Los, Jungs, mal sehen, wer als erster da ist«, und legten einen Sprint über vier Kilometer hin.
    In Littoria überall Baustellen, Lampen, Schweinwerfer. Ein Betrieb wie am helllichten Tag. Tausende Leute – alles Männer – bei der Arbeit auf den Straßen und in den Baugruben.
    Man könnte allerdings nicht behaupten, meine Onkel seien sonderlich beeindruckt gewesen in jener Nacht. Ja gut, das Durcheinander, das hektische Treiben, das Gewimmel dieser vielen Menschen, der Lärm, die Rufe, die Hammerschläge auf Holz mitten in der Nacht, das wrumm, wrumm, wrumm der ersten Betonmischmaschinen, die man überhaupt sah, die Scheinwerfer auf den Baustellen, die Schreie und die gebrüllten Zurufe und der ferne Widerhall von Gesang und Gegröle von Betrunkenen – all das musste ihnen schon Eindruck machen. Noch besser und intensiver, dachte Onkel Pericle, als das verrückte und fast ekstatische Chaos in der Etappe, kurz bevor bei Vittorio Veneto zum letzten Angriff geblasen wurde. »Das kommt mir vor wie im Krieg«, sagte er denn auch zu seinen Brüdern.
    »Das ist der richtige Ort für mich«, sagte hingegen Onkel Adelchi.
    »Aber geh«, entgegneten die anderen beiden, denn – ich sage es noch einmal – diese Stadt war wirklich nicht eindrucksvoll. »Mit all dem Dreck?«
    »Mit all dem Dreck«, räumte Onkel Adelchi ein. »Wenn ich ehrlich bin, ich arbeite nicht gern auf den Feldern.«
    »Ach was? Das hatten wir noch gar nicht bemerkt«, antworteten die anderen beiden; er schaffte es nämlich regelmäßig bei allen Arbeiten, sich Aufgaben der allgemeinen Koordination oder, sagen wir, die logistischen Aufgaben zuteilen zu lassen, und gerne überließ er die ausführenden und manuellen Arbeiten anderen. Onkel Pericle und Onkel Iseo dagegen war nichts lieber, als wenn man ihnen sagte, es gebe was zum Zupacken, da waren sie in ihrem Element. Onkel Adelchi war der Einzige im ganzen Peruzzi-Clan – wenigstens seitdem er vom Militär zurück war –, der niemals schwarze Ränder unter den Fingernägeln hatte. Vorher ja. Aber seit er zurück war, kriegte ihn niemand mehr dazu, und wenn er wirklich gezwungen war – vor allem während der Ernte oder beim Pflügen –, eine Mistgabel in die Hand zu nehmen oder eine Kuh unters Joch zu spannen, achtete er peinlich darauf, sie nicht zu sehr schmutzig zu machen, und abends schrubbte er sie mit der Bürste.
    Abgesehen von der Hektik

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