Canale Mussolini
blies seinen Dudelsack auf fuuuuoch, fuuuuoch, fuuuuoch , bis er am Ende prall war und die Töne seiner traurigen Lieder aus den Abruzzen herauskamen. Er kannte sämtliche Kinder mit Namen, jedes einzelne, Jahr für Jahr, und begrüßte sie alle und redete mit allen vor der Krippe oder während er mit dem schlaffen Dudelsack ins Haus kam. Er stank aber, dieser Dudelsack, er stank nach abgestandenem Essen, wenn man zu nah hinkam. Und Vullo streichelte den Kindern über den Kopf. Am Dreikönigstag kam er wieder und spielte seine traurigen Lieder, da bezahlte ihm Tante Santapace was, Onkel Adelchi auch, und am nächsten Tag asphaltierte er wieder seinen Split. Aber wenn man ihn auf der Straße traf – ich erinnere mich daran, als ob es gestern wäre, auf der Umgehungsstraße –, und man erkannte ihn in dem ganzen Hin und Her von Schaufeln und Schubkarren, den Griff der dampfenden Asphaltiermaschine in der Hand, schmutzig und triefend von Asphalt und Schweiß, und man brüllte: »Vullo! Vullo!«, antwortete er nicht. Vielleicht erkannte er einen nicht, so wie seine geliebten Schafe in den Abruzzen ihn bestimmt auch nicht wiedererkannt hätten.
In meiner Kindheit waren die Straßen des Agro Pontino nicht mehr das, was sie einmal gewesen waren. Da war der Krieg gewesen, Bomben und keine Instandhaltung. Eine Straße muss man pflegen wie Brot, sie ist ein lebender Organismus, Menschen gehen darüber hin, Karren, Lastwagen, Autos. Sie nutzt sich ab. Fahr heute drüber, fahr morgen drüber, sie nutzt sich ab. Und dann lebt sie im Freien, das arme Ding, allen atmosphärischen Einflüssen ausgesetzt: Kälte, Wasser, Frost, Sonne, Hitze. Jedes ihrer Bestandteile, jedes Molekül dehnt sich bei Zustandsänderungen aus und zieht sich wieder zusammen. Bei Frost gefrieren die in die Zwischenräume eingedrungenen Wassermoleküle, sie spreizen sich auf zu Kristallen und zerschneiden die Fasern der sie umgebenden Stoffe. Wenn das Eis dann schmilzt, wieder zu Wasser wird und abfließt, hat die Umgebung nicht mehr dieselbe Konsistenz wie vorher, die Materialien sind erschöpft, und die Zwischenräume lassen sich nicht mehr ausfüllen, bleiben leer, allmählich geht der innere Zusammenhalt des Ganzen verloren, es zerfällt, zerbröselt, und auf Wiedersehen und danke schön. Was man aufbaut, muss man pflegen – Häuser, Straßen, Gefühle –, man muss immer wieder herstellen, was durch Abnutzung und Erosion, durch Wasser und Wind abgetragen wurde, sonst fällt alles zusammen. Und schon als ich klein war, musste ich auf unserer Parallela Sinistra am Canale Mussolini mit dem Fahrrad immer »am Rand« fahren, nicht in der Mitte, denn dort ragten mittlerweile die großen Steine des Makadam heraus. Auch die Karren hatten Mühe, sie rumpelten darüber hin, und mit dem Fahrrad war es schlicht unmöglich, darauf zu fahren. Das bisschen Split und Sand, das noch verblieben war, hatte sich an den Rändern gesammelt, und durch das ständige Darüberfahren hatte sich eine Rille mit glattem und gleichförmigem Boden gebildet, auf dem die Reifen des Fahrrads noch fahren konnten.
Jetzt sind alle asphaltiert. Hunderte Kilometer Straßen mit glattem und kompaktem Makadam, nach allen Regeln der Kunst gebaut – eine Fahrbahndecke wie aus Samt – und alle mit Dachprofil, hoch in der Mitte und zu den Seiten hin abfallend, damit jeder Tropfen Wasser sogleich seinen Weg in den Graben fand. Jetzt werden alle flach gebaut, und bei jedem Regenguss steht das neue Latina unter Wasser – und wenn man bei Regen auf der Pontina fährt, geht es dort schlimmer zu als im Canale Mussolini –, auch die alte Straße steht unter Wasser, weil die Abflussschächte nicht sauber gehalten werden. Heute kontrolliert nach der Auftragsvergabe niemand mehr, ob die Unternehmen den Auftrag ordnungsgemäß ausgeführt haben, mit der richtigen Neigung oder den richtigen Schichtmaterialien. Vielleicht ist das eine Frage von Schmiergeldern. Die von der ONC dagegen schmierten den Unternehmen ihr Zeug um die Ohren, wenn was nicht stimmte. Sie waren ständig da, überprüften und maßen nach, und Legion sind die Arbeiten, die Cencelli beanstandete und dann auch nicht bezahlte: »Verklag mich doch. Nein, ich verklag dich«, und er zwang sie, die Arbeiten zwei- und dreimal neu zu machen. Er rieb sie auf. Einige Unternehmen hat er regelrecht in den Ruin getrieben – er war eben aus Rieti: »Wenn du nicht anständig arbeiten kannst, dann ist besser, du gehst unter.«
Jedenfalls, als meine
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