Canale Mussolini
es rührt sich wer vom Fleck«, und alle kuschten. Sogar Onkel Pericle und Onkel Iseo wollten schon kleinlaut haltmachen und umkehren, aber sie funkelte sie an und befahl: »Nun geht schon, ihr«, und sie flogen hinauf, kamen wieder runter, die Füße schon auf den Fahrradpedalen.
»Ich geh auf der Brücke zur Straße eine Zigarre rauchen«, sagte mein Großvater.
Das war eine nagelneue Straße mit völlig glattem, weißem Belag, auf dem das Fahrrad wie von alleine lief, man hört nur die Luft durch die Speichen streichen – sssss . Ich weiß ja nicht, ob Sie wissen, wie Straßen gebaut werden, oder wenigstens, wie sie früher gebaut wurden. Heute hebt man für den Unterbau mit einer Raupe das Erdreich aus. Dann Schichten Schotter, vermischt mit Kalkstaub, Walze drüber und weitere Schichten. Ein bisschen Bruchstein vermischt mit Kies und dann die Teerdecke – ganz glatt, fast ohne Neigung –, ausgewalzt mit diesen großen automatischen Fertigern, und wenn Sie dann bei Regen mit dem Auto drüberfahren, weiß das Wasser nicht, wohin, und bleibt stehen wie in den Pontinischen Sümpfen, und bei der ersten Bremsung geraten Sie ins Schleudern, Sie kommen von der Straße ab und brechen sich das Genick. Oder krachen zumindest auf den Wagen vor sich.
Früher wurden die Straßen von Hand gebaut. Für den Unterbau grub man, bis man auf harten Boden stieß. Wo das Gelände ursprünglich tief lag und die Straßentrasse höher verlaufen sollte, musste man Erdreich aufschütten, um die Nivellette einzuhalten, und das nannte man »Dammaufschüttung«. Von dort aus ging’s dann weiter.
Wie bitte, was sagen Sie? Was eine Nivellette ist? Dieser Gadda da, der Schriftsteller, hat diese Sache am Beispiel einer Bahntrasse in der Gegend der Castelli Romani auf über vierzig Seiten ausgewalzt – »Nivellette hier, Nivellette da« –, ohne je zu erklären oder deutlich zu sagen, was das genau ist. Aber nun kann man ja wirklich nicht von jedem, der ein Buch kauft, voraussetzen, dass er weiß, was eine Nivellette ist, oder dass er Straßenbau studiert hat.
Die Nivellette – oder Gradiente – ist nichts anderes als jeder einzelne Streckenabschnitt mit gleichbleibender Steigung. Selbstverständlich ist der Grund, auf dem eine Straße verläuft – und in diesem Sinn ist auch die Eisenbahn eine Straße, nur eben mit Schienen obendrauf –, nie gleichförmig, da gibt es Senken und Erhebungen, selbst wenn sie in der Ebene verläuft. Der Planer skizziert also zunächst auf der Karte den Verlauf, den die Straße nehmen soll, die Trasse. Diesem Verlauf folgend geht der Geometer hin und vermisst das Terrain, genauer, er nimmt Höhenmessungen vor und fertigt die Profilzeichnung – den Längenschnitt – der Straße an und verzeichnet darin für jeden Punkt seine Höhe bzw. Tiefe, das heißt, er gibt die Höhenmeter über dem Meeresspiegel an. Hat er diese Zeichnung in der Hand, zieht er schöne gerade Linien von einem Punkt zum anderen, und das ist dann die Nivellette der geplanten Straße. Alles, was höher ist, wird abgetragen und weggeschafft, alle Punkte, die niedriger liegen, müssen mit Erdreich oder Stein aufgeschüttet werden. Das ist alles: Man zieht diese Linien mit gleichbleibender Steigung – die Tangenten –, man verbindet sie sukzessive miteinander, je nach Gefälle, Kurven und geraden Strecken, und am Schluss hat man die Straße. Ein Freund von mir hatte Gaddas »Gräßliche Bescherung in der Via Merulana« als junger Mensch gelesen, und er sagt, er habe ihn erst verstanden, als er für seine Arbeit einen Abschluss in Vermessungstechnik machen musste. Mit dem humanistischen Abitur allein hätte er den Text nie verstanden.
Diese Geschichte mit der Trassenführung sieht man im Agro Pontino besonders gut in Küstennähe, an der Litoranea, die von Borgo Sabotino nach Sabaudia führt, und zwar ganz erhöht – auch fünf oder sechs Meter über den umliegenden Feldern –, denn dort waren vorher lauter Niederungen, Gräben, Tümpel und Sümpfe, und um hier eine Straße zu bauen, mussten waggonweise Erdreich und Schotter herangeschafft werden, und sie verläuft nun ganz auf Dammaufschüttungen. So ist das allerdings bei den anderen Straßen auch – sie sind alle höher gelegt, damit sie von eventuellen Überschwemmungen nicht betroffen sind –, an der Litoranea sieht man es aber besonders deutlich.
Straßen heißen so, weil schon die Römer sie in Schichten, strata , bauten, das heißt zuerst mit großen Steinen, dann nach
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