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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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mal«, und mein Onkel lachte, weil er sie gernhatte.
    Auch Lanzidei hatte sie gern, und sie ihn. »Du verfluchter, dreckiger Marokkaner«, sagte sie bestimmt zwanzig Mal am Tag zu ihm. »Diese Cispadanierin«, lachte er. Es musste schon einen Grund gehabt haben, dass er so oft mit seinen Unterhosen gekommen war. Schließlich hatten sie ihm nicht schon in Sabaudia den Hof versprochen. Die Kuh hatte ihm offenbar auf Anhieb gefallen. Der Hof kam später. Wegen des Nachteils durch die paar Kälbchen zu viel. Und bei all diesen Kälbchen – denen von vorher und denen von nachher – hatten sie sich immer gern und haben da auch nie einen Unterschied gemacht. Im Gegenteil, die Kinder, die ihn immer am liebsten hatten – wenn man so sagen kann – und die immer den meisten Respekt vor dem Vater hatten, das waren eben die Kälbchen von vorher. Er war aber auch sympathisch, immer zu Scherzen aufgelegt, obwohl er von hier war; und auch die Schwäger, meine Onkel, haben ihn immer auf Händen getragen. »Da haben wir ein Meisterwerk vollbracht, Bruder«, hatten in der Tat Onkel Pericle und Onkel Adelchi an jenem berühmten Abend zueinander gesagt und sich die Hände gerieben, nachdem sie ihn der Großmutter vorgestellt hatten: »Das ist der Liebste von der Bissola.«
    »Um Himmels willen, Jungs, das ist doch ein Marokkaner«, hatte sie gesagt und war bleich geworden.
    »Ja, aber er nimmt sie mit allen Kälbchen, Mama«, erwiderten die Söhne.
    »Dann ist gut«, willigte die Großmutter ein.
    »Aber auch mit einem Hof«, präzisierte der Lanzidei, eine Spur beunruhigt. »Das wollen wir doch nicht vergessen.«
    »Aber ja«, beruhigte ihn schulterklopfend und lachend Onkel Adelchi.
    Nach einem Weilchen lernte er auch, venetischen Dialekt zu sprechen, und jedes Mal, wenn er aufs Klo musste, sagte auch er, mit einem verstohlenen Grinsen zu seiner Frau: »Ich geh jetzt ins privy .«
    »Geh doch zum Teufel«, kreischte sie da, denn zu kreischen hat sie nie aufgehört.
    Erst als er tot war, still, gefasst und ein wenig lächelnd im Sarg lag, wies Tante Bissola jeden, der ihr kondolieren kam, mit der Hand auf sein Gesicht hin und wiederholte weinend bloß immer nur: »Mein schöner Marokkaner.«
    »Ciao, Cispadanierin«, hatte er mit einem Lächeln zu ihr gesagt, kurz bevor er starb. Dieses Lächeln lag dann auch im Sarg noch auf seinem Gesicht.
    Wie bitte, was sagen Sie? Dass ich Ihnen nicht erklärt habe, was Cispadanier bedeutet und warum sie uns so nannten?
    Ich weiß es nicht. Genau weiß ich das nicht. Sie nannten uns so, oder auch Polentafresser. Und wir sie Marokkaner oder Mokassiner, um zu sagen Afrikaner, oder Leute aus dem tiefsten Süden, so rückständig, dass es schlimmer nicht geht. Vielleicht aber ging dieses Cispadanier zurück auf das Mal, als wir zuvor schon mal hier gewesen waren, Anfang des 19. Jahrhunderts, zusammen mit Napoleon, daran erinnerten sie sich wohl noch, und es bedeutete so viel wie »Besatzer«.
    Sie gehörten damals noch zum Kirchenstaat, wo der Papst mehr zu sagen hatte als ein König. Wehe, einer spurte nicht. Sie hängten einen auf und schlugen einem den Kopf ab, wie Monti und Tognetti. Sie lebten in der finstersten Ignoranz. Haben Sie unsere Herren und Gebieter vom Schlage eines Grafen Zorzi Vila vor Augen? Nun, ihre Herrscher waren schlimmer: Feudalherren – Feudalfürsten –, die sie wie Sklaven behandelten. Fürst Caetani – der über die ganze Piscinara herrschte, von den Bergen bis ans Meer, Herr über jeden See, Sumpf, Tümpel, Acker oder Wald – war Herr auch über die Seelen seiner Untertanen. Als Adeliger konnte man im Kirchenstaat machen, was man wollte, keiner verfolgte einen, und kam es einmal zum Streit zwischen Adeligen, machten sie und der Papst das untereinander aus. Fertig. Taten sie dagegen jemandem aus dem Volk Unrecht, konnte ihnen niemand etwas sagen: »Sind das nicht Leute von meinen Besitzungen? Ich mache mit ihnen, was ich will.« Eine Feudalherrschaft also, im Vergleich zu der wir in Norditalien die reinsten Herren waren; arme Schlucker zwar, aber Herren im Vergleich zu ihnen. Dann kam jedoch die Französische Revolution, und Napoleon brachte die Revolution auch zu uns nach Norditalien, diese Revolution, und machte gleiche Gesetze für alle, zuerst in der Cispadanischen und dann in der Cisalpinen Republik. Wir traten alle begeistert in seine Dienste, und Napoleon sagte: »Jetzt gehen wir noch ein bisschen weiter und bringen Gerechtigkeit, Gleichheit und Fortschritt

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