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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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wiederhergestellt und aus dem Krankenhaus entlassen, hatte er sich geweigert, den ihm zustehenden Urlaub zu nehmen. Er wollte sofort zurück in den Kampf, auch mit eingegipstem Arm, den er in einer Schlinge trug. So ist er gefallen, und deshalb wurde ihm in memoriam die Tapferkeitsmedaille in Gold verliehen, und wir benannten sofort unseren Militärdistrikt nach ihm und die Ortsgruppe der Faschistischen Partei in der Sozialbausiedlung. Auf dem Giebel des Militärdistrikts stand tatsächlich: Camillo Baranj-Kaserne , allerdings mit j, nicht mit y. Nach dem Fall des Faschismus wurde die Kaserne umbenannt – gesäubert –, sie hieß jetzt G. Mameli-Kaserne , was aber kürzer ist als Camillo Baranj-Kaserne . Jedes Mal, wenn ich als Junge daran vorüberkam, fragte ich mich daher: »Aber warum haben sie diesen Schriftzug nicht in die Mitte gesetzt?« Heute ist auch das Mameli entfernt, und man verschwendet keinen Gedanken mehr daran. Es ist auch nicht mehr Militärdistrikt, jetzt ist da die Universität untergebracht, und aus diesem Giebel wurde alles getilgt.
    Dennoch ist klar, dass dieser Camillo Barany seiner Stadt und seinem Land etwas gegeben haben muss. Das wird nicht richtig gewesen sein, ja, mit Sicherheit war es falsch, aber als er in Afrika fiel, stand er an der Spitze von Hunderten faschistischer Bauernsoldaten, wie er selbst einer war. Und auch meine Onkel waren da irgendwo mit dabei, und wer weiß wie viele Großväter und Onkel sonst noch – Siedler im Agro Pontino und Gründer von Littoria-Latina –, unser aller Vorfahren. Lares et penates .
    Wie bitte, was sagen Sie? Barany sei aber Faschist gewesen?
    Verstehe. Daher ist er aber trotzdem mein Vorfahr, und in der Nacht, als er fiel, war da mein Onkel Adelchi mit ihm auf dem Amba Aradam. Oder genauer, nicht oben auf dem Berg, sondern an den Hängen. Obendrauf – und ringsherum – waren noch die Äthiopier, und wenn mein Onkel sagte, er hätte nie Gas gesehen, sagte er aber doch auch, dass er in dieser Nacht am Amba Aradam, als er mit Gevatter Franchini in einem Graben versteckt lag und der Wind plötzlich drehte, einen gewissen Gestank gerochen hat, einen penetranten Gestank nach Knoblauch und Zwiebel, was eben der Geruch von Yprit ist.
    Es war kalt in jener Nacht am Amba – obwohl Februar war, was dort wie August bei uns ist –, und Onkel Adelchi und Gevatter Franchini hatten kaum zwei Stunden vorher ihren Kommandanten Barany fallen sehen. Sie waren auch in das Gefecht verwickelt gewesen, und Onkel Adelchi schrie jedes Mal mit schriller Stimme: »Verfluchte Marokkanerbrut«, rasend weniger vor Wut als vor Schrecken. Und sie waren den Lanzen und Schwertern ausgewichen, hatten geschossen und dem Gegner das Bajonett in den Bauch gerammt, waren dann über ihn weggesetzt, um die nächsten anzugreifen und vorzurücken. Neben sich hatten sie Kameraden fallen sehen, mit denen sie eben noch das Essen oder den Grappa geteilt hatten. Jetzt in der Schlucht – in einer Gefechtspause, in dem Gestank nach Zwiebeln und Schießpulver, unter Kanonendonner und dem Dröhnen von Granateneinschlägen, die weiterhin an den Hängen oder in den Schluchten abgefeuert wurden, mit ausgetrocknetem, verdörrtem Mund und mit dem glitschigen Gefühl, das das Blut anderer an den Händen hinterlässt – bemerkten mein Onkel und Gevatter Franchini mit einem Mal die Kälte.
    Vorher, im Eifer der Gefechts, hatten sie nichts gespürt, mit Schaum vor dem Mund und verhundertfachten Kräften: »Dein Leben oder meins.« Jetzt aber in der Kälte zitterten mein Onkel und Gevatter Franchini plötzlich. Ein krampfhaftes, nicht beherrschbares Schlottern. »Wir müssen versuchen, uns auszuruhen«, sagte Onkel Adelchi da, »wie sollen wir sonst morgen auch noch mal mit heiler Haut davonkommen?«
    So saßen sie dicht aneinandergedrängt auf dem Grund der Schlucht, wickelten die Gamaschen ab, zogen die Schuhe aus, aus denen sie drei Tage lang nicht herausgekommen waren, schmiegten sich, beide schlotternd, noch enger aneinander, schließlich holten sie sich gegenseitig einen runter, und das beruhigte sie. Das Zittern verging, mit den Schultern an die Felswand gelehnt, das geladene Gewehr in Reichweite, gelang es ihnen, sich auszuruhen.
    Ein paar Stunden später erwachten sie mit einem Schlag – in der allerersten Morgendämmerung noch zwischen Nacht und Tag, ringsum, diesseits und jenseits der Schlucht, immer noch das Dröhnen von Bomben und Kanonen – vom leisen Rascheln eines Blatts, dazu das

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