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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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ONC war.
    Jedenfalls sobald der Abessinien-Krieg ausbrach und er den Ruf des Vaterlands vernahm, kannte Barany nichts mehr: »Das Vaterland ruft.« Er ließ alles stehen und liegen, sämtliche Geräte, Pegelmesser, Winkelmaße, die Reagenzgläser der ONC , trat wieder in den aktiven Dienst, um mit seiner Kompanie »Littoria« in den Kampf zu ziehen. Haus für Haus, Hof für Hof kam er seine Leute holen, jeden einzeln: »Auf, Kameraden, auf zur Eroberung des Imperiums! Wer von euch kommt mit?«
    »Zur Stelle, irgendwer kommt mit«, antworteten wir alle. Es war nicht sonderlich schwer, in Littoria Freiwillige zu finden. Ja, etliche wurden sogar zurückgeschickt: »Wir sind zu viele.« Die hatten uns – ich sage es noch einmal – den Boden gegeben, und jetzt, wo das Vaterland rief, sollten wir nicht umgehend »Zur Stelle!« sagen? Wir haben ihre Reihen mit Freiwilligen angefüllt, bis zum letzten Bataillon M der Repubblica Sociale Italiana, bis hin zu den Torpedoeinheiten der Decima Mas . Und jetzt lassen Sie mal beiseite, ich wiederhole es, dass auch die Abessinier sich von ihrem Vaterland gerufen fühlten; ja, dass wir es waren, die hingingen und es besetzten. Aber wir hielten das für richtig, Punktum, und da braucht man jetzt nicht lang darauf herumzureiten; das ist die Tragik der menschlichen Existenz: Man ist dazu verdammt, fast immer im Unrecht zu leben, dabei allerdings zu glauben, man sei im Recht.
    Wir schickten Onkel Adelchi. »Diesmal ist er dran«, weil er von den älteren Söhnen der einzige war, der unverheiratet und kinderlos war. Im Übrigen hatte er selbst gleich gesagt »Diesmal bin ich dran« – noch bevor die Brüder den Mund aufmachten –, denn das hier war eine Plackerei von früh bis spät, und er dachte sich, ein bisschen Abenteuer und etwas zu sehen von der Welt könne ihm nicht schaden. Als daher Barany am Abend bei uns erschien, um zu fragen »Wer geht mit?«, ließ Onkel Pericle ihn gar nicht erst zu Wort kommen und fragte nur: »Wäre Adelchi recht?«
    »Sicher ist Adelchi recht«, antwortete Barany, weil er ihm sympathisch war. Und außerdem, um die Wahrheit zu sagen, war Onkel Adelchi geradezu geschaffen für die Uniform. Für die Peruzzi das Vieh – könnte man sagen –, für die Benassi die Traktoren und für Adelchi die Schulterlitzen.
    Onkel Adelchi hatte die Uniform schon immer gemocht. Bereits als Kind sagte er immer wieder zu seiner Mutter – meiner Großmutter –: »Wenn ich groß bin, will ich Carabiniere werden.« Oder, ich weiß nicht, vielleicht war es doch eher sie, die, schon als er noch klein war, zu ihm sagte: »Ah, du musst wirklich Carabiniere werden.«
    Er war Großmutters Liebling, ihr Herzblatt. Sie werden sich bestimmt an ihn erinnern, er war groß und ganz dunkelhaarig. In unserer Familie ist man entweder blond oder dunkel – einer blond, der andere schwarz, einer blond und der andere schwarz: Onkel Pericle blond und Onkel Adelchi ganz schwarz. Und schon als Kinder vertrugen sie sich nicht sonderlich, Onkel Pericle traktierte ihn mit Schlägen auf den Kopf, dagegen verstand er sich sehr gut mit Onkel Iseo, der gleich nach Adelchi kam.
    Kräfte eines Löwen hatte aber auch Onkel Adelchi, er hatte breite Schultern, ein strahlendes Lächeln mit weißen Zähnen, regelmäßige Gesichtszüge mit dunklen Augenbrauen. Das dichte schwarze Haar trug er immer in einer Tolle nach einer Seite gekämmt – eine Mähne eben, stets gepflegt und glänzend vor Brillantine –, der offene, stolze Blick sagte zur Welt: »Welt, hier bin ich, um dich zu erfreuen.« Und mit diesem Blick – erzählte Tante Bissola – war er seinerzeit offenbar auch schon aus dem Bauch seiner Mutter hervorgekommen. Wie sollte man sich da nicht verlieben?
    Nun wusste Onkel Adelchi natürlich ganz genau – und auch Großmutter wusste das –, dass er nicht der Erstgeborene war. Der erste Sohn bei uns – derjenige, der nach meinem Großvater die größte potestas in sich vereinte –, das war Onkel Temistocle, und die Tatsache, dass Großmutter seine Frau nicht mochte, spielte da keine Rolle. Sie mochte sie nicht, duldete sie aber, denn ob sie wollte oder nicht, das war die Frau, die an ihre Stelle treten würde. Dann, als wir, hier angekommen, zwei Höfe bekamen und Onkel Temistocle den seinen ganz für sich haben sollte, hatte Großmutter nicht einen Augenblick gezögert und gesagt: »Das ist deins, und du machst alles für dich, auf deine eigene Rechnung.« Er hatte etwas gezögert: »Nein,

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