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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini
Autoren: Pennacchi Antonio
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können. Ab und zu wechselten wir – wie gesagt – den Ort, je nachdem, wie sich die Bedingungen änderten, immer zum Besseren, immer ein paar Hektar mehr. Nie eigener Grund, wohlgemerkt, Halbpacht oder Pacht, immer unter einem Herrn; aber jetzt suchten wir uns die Herren selbst aus. Manchmal kehrten wir zu einem zurück, aber zu besseren Bedingungen. Am Ende der Saison zogen wir ab, unser ganzes Zeug auf Karren geladen – Hausrat, Möbel, Werkzeug –, denn mittlerweile hatten wir uns Dinge erworben, im Schweiße unseres Angesichts, so dass auch die Kinder mit sieben Jahren schon die Hände voller Schwielen hatten. Wir blieben natürlich immer dort in der Umgebung – diesseits und jenseits des Po –, und alle kannten uns, denn auch die anderen führten dasselbe Leben wie wir. Ein Jahr hier, ein Jahr dort, immer auf der Suche nach mehr Glück – was man halt so Glück nennt, zwei Zentner Weizen mehr –, und ein paar Jahre lang fand jeder sein Auskommen, doch dann im Jahr darauf kam man plötzlich mit einem Karren weniger und ein paar Schulden mehr zurück. Man schlug sich halt so durch, und uns ging es gut, mit den vielen Kindern und der Gesundheit, die uns beistand. Und an jedem Ort, wo wir neu hinkamen, nachdem Großvater hinter der Großmutter her durch alle Räume, Heuböden und Ställe gegangen war und sie schon die ersten Anweisungen gab, was wohin von den Karren abzuladen war, fragte er sie sofort: »Was meinst du, soll ich gehen?«
    »Geh nur, geh«, und er ging ins Wirtshaus, um auch dieses in Augenschein zu nehmen und zu sehen, wie es hier um Briscola und die Liga bestellt war.
    So rückte das Jahr 1911 heran, und im September erklärte Italien der Türkei den Krieg, um Libyen einzunehmen.
    Fünfzig Jahre zuvor waren wir noch in tausend kleine Staaten aufgeteilt gewesen – wo man einen Pass brauchte, um vom einen in den anderen zu kommen –, und die Ausländer, die nach Italien kamen, taten das als Gebieter. Das Gespött Europas waren wir. Und nun, nicht einmal fünfzig Jahre später, waren wir aufgestiegen zu einer Macht, die die Türkei herausforderte und Afrika kolonialisierte. »Libyen!« Lassen wir beiseite, dass uns fünfzehn Jahre vorher – als wir zum ersten Mal versuchten, Äthiopien einzunehmen – die Abessinier in die Flucht geschlagen hatten. 1896 bei Adua – sie mit Pfeilen und Lanzen, wir mit Flinten und Maschinengewehren – haben sie uns vernichtend geschlagen. Sechstausend Tote. Und jetzt revanchierten wir uns in Libyen.
    Es ist klar, dass die Sozialisten diese aggressive, imperialistische Kolonialpolitik nicht mitmachen konnten: »Wie«, sagten sie, »ausgerechnet du, der du bis gestern unterworfen warst, von Fremden mit Füßen getreten und verlacht, du gehst hin, verlachst, trittst mit Füßen und unterwirfst nun deinerseits andere?« Und am zornigsten von allen war eben Mussolini, der so was wie die Nummer eins der revolutionären Syndikalisten in Italien geworden war und auch ein hohes Tier in der sozialistischen Partei. »Ich habe es ja immer gesagt«, sagte Großvater jetzt jedes Mal im Wirtshaus, wenn er im »Avanti« etwas über ihn las, »so wie den gibt es wenige, der Mann ist was Besonderes, wenn er sich etwas in den Kopf setzt, macht er das auch, der lässt sich von niemand aufhalten«, und tatsächlich hatten das im Lauf weniger Jahre nicht nur mein Großvater – und vor allem meine Großmutter – bemerkt, sondern auch Treves und Turati, die versuchten, ihn im Zaum zu halten. Nun, wegen Libyen hat er sich mächtig ins Zeug gelegt. Zuerst gelang es ihm, alle anderen Sozialisten zu überzeugen – und die, die er nicht überzeugen konnte, wie Bonomi und Bissolato, ließ er aus der Partei ausschließen, weil sie »zu nachgiebig und zu sehr der Krone verbunden« waren –, und dann führte er den Generalstreik gegen den Krieg in Afrika mit regelrecht revolutionären Sabotageaktionen durch. Da waren Leute, die Brücken in die Luft sprengten und Eisenbahnschwellen herausrissen, damit die Züge mit den Soldaten nicht fahren konnten, und im Jahr darauf wurde er verurteilt und ins Gefängnis gesteckt. Er sagte, die italienischen Generäle seien blutrünstige Kriegstreiber, auch Giolitti, der Regierungschef, der sie nach Libyen geschickt hatte.
    1911 kam er und erzählte diese Dinge auch bei uns in der Gegend. Mittlerweile hatte er sich in Mailand niedergelassen, denn dort war das Zentrum, Fabriken, Geld und überhaupt alles war dort. Aber für den Streik gegen den
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