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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini
Autoren: Pennacchi Antonio
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zupfte.
    Sicher, er zupfte ihn auch wegen der Blicke – um seine Blicke von der Großmutter abzulenken –, aber er zog ihn am Arm und deutete mit dem Kinn auf die Kinder: »Verdammt, jetzt heißen sie mal so.«
    Und tatsächlich – in all den kommenden Jahren, wenn dieser Onkel ungezogen war oder mit jemandem stritt, hänselten ihn seine Geschwister immer mit diesem: »Turati, du Hund, Turati, du Henker.« Und er wurde wütend und warf mit Steinen nach ihnen. Aber am schlimmsten war es nicht für ihn, Turati; als er aus dem Gröbsten heraus und groß war, hänselte ihn niemand mehr, und dann gab es da später ja auch einen Turati, Augusto Turati, der Sekretär der nationalen faschistischen Partei wurde, des PNF , und da gab es wirklich nichts mehr zum Aufziehen, im Gegenteil, da war Respekt angesagt. Nein, am schlimmsten war es für das Zwillingsmädchen, Tante Bissolata, was man wirklich noch nie gehört hatte, und sofort, als der Großvater von der Eintragung beim Standesamt zurückkam, war Großmutter außer sich geraten vor Wut: »Bissolata? Aber was ist dir denn da in den Sinn gekommen? Wer soll denn die je heiraten? Begreifst du denn nicht, alle werden deine Tochter Bissola nennen?« Und tatsächlich, so ist es gekommen, alle haben sie »Bissola« genannt, was in unserem Dialekt »kleine Natter« bedeutet, eine kleine Schlange, und insgeheim nannten wir sie auch »Tante Bissa«, denn sie war wirklich eine Natter, eine giftige Schlange. Tante Modigliana nicht, Tante Modigliana war ein Engel.
    Rossoni jedenfalls ging damals von Nizza nach Brasilien, nach São Paulo, wo Alceste De Ambris ihn erwartete, aber nach wenigen Monaten wurde er auch von dort verjagt, unverzüglich ausgewiesen, weil er in einer großen Glasfabrik von Agua Branca den ersten totalen Streik ausgerufen hatte. Die Arbeiter dort waren sehr zufrieden mit dem Streik, aber die Glasfabrik war Eigentum des Präfekten von São Paulo, und da können Sie sich ja denken, ob man Rossoni noch in São Paulo halten konnte. Sie haben ihn auf das erste Dampfschiff nach Europa gesetzt. So ist er auch ein Held der zwei Welten geworden.
    Ab und zu schickte er uns Zeitungen, die uns bei unseren vielen Umzügen erreichten oder auch nicht, denn wir wechselten nun auch ständig den Ort, je nach den Bedingungen für Halbpacht oder Pacht, die Großmutter über ihre Brüder aushandeln konnte. Wir »machten Sankt Martin«, wie man so sagt, und ein Jahr waren wir in Mesola, das nächste in Argenta, in Taglio di Po, Ariano Polesine, Papozze, Polesella. Und in einer dieser Zeitungen lasen wir, dass Rossoni bei einer Kundgebung in New York zu Ehren eines Garibaldi-Enkels am Ende der Reden auf der Tribüne auf die Nationalflagge gespuckt habe, »unter begeistertem Jubel der Menge«. Ja, das war ’11, als Italien der Türkei den Krieg erklärte, um sich Libyen zu nehmen.
    Aber ich kann Ihnen hier nicht die ganze Lebensgeschichte von Rossoni erzählen. Was geht der uns an? Sie interessieren sich für unsere Familiengeschichte, wenn ich das recht verstehe, und Rossoni ist darin nur ein Element, der zufällige Grund, weshalb uns bestimmte Dinge zugestoßen sind, die uns zuletzt ins Agro Pontino geführt haben, Punkt. Also sage ich es noch einmal, dass wir ihn viele Jahre lang nicht gesehen haben, aber wenn die Sache damit ihr Bewenden gehabt hätte, wäre es meinen Onkeln gar nicht in den Sinn gekommen, mit dem Fahrrad bis nach Rom zu fahren und im Palazzo Venezia nach ihm zu fragen. Wir waren ja schließlich nicht blöd. Mittlerweile war 1932, und die Ereignisse von Copparo waren 1904 gewesen: Man kann ja schließlich nicht bei jemand aufkreuzen, weil man ihn vor dreißig Jahren mal gekannt hat. Und dann, bei dem Weg und der Karriere, die er gemacht hatte, soll er sich mit einem treffen, nur weil er in Copparo auf das Pferd seines Vaters gestiegen ist? Wenn es so gewesen wäre, hätte man auch gleich zu Hause bleiben können. In Wirklichkeit war das nur der Anfang, der Rest kam später.
    Wir waren also hier und er dort. Es kamen diese Zeitungen, wenn sie bis zu uns gelangten, und wir lasen sie. Im Übrigen arbeiteten wir weiter und kamen voran. Schon in Codigoro war Großvaters Bruder zu uns gestoßen, auch er mit all den Kindern, die er im selben Rhythmus wie Großvater mit seiner Frau zeugte, die zufällig eine Cousine meiner Großmutter war. Eine einzige Familie also. Die Kinder wuchsen heran, und es fehlte nicht viel, und wir allein hätten die ganze Poebene bestellen
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